Als ich vor 15 Jahren meine Frau heiratete, dachte ich, dass ich das große Los gezogen hatte. Nicht nur, weil ich sie liebte, sondern auch weil ihr Vater mehrere erfolgreiche Autohäuser mit Werkstätten besaß. Für einen Kfz-Mechaniker wie mich, der aus einfachen Verhältnissen kam, schien das wie ein Sechser im Lotto.
Ich fing an, für meinen Schwiegervater zu arbeiten. Ich gab alles und wurde bald zum Geschäftsführer befördert. Wir bekamen einen Sohn und eine Tochter, bauten ein Haus direkt neben den Schwiegereltern. Die Kinder waren oft bei Oma und Opa. Als wir dann noch einen Golden Retriever anschafften, dachte ich: Jetzt hast du es geschafft. Das perfekte Leben.
Aber irgendwas stimmte nicht. In mir drin fühlte es sich ganz anders an. Ich wurde immer trauriger und zog mich zurück. Nichts machte mir mehr Freude. Dann passierte etwas in der Firma. Ein Mitarbeiter, den mein Schwiegervater eingestellt hatte, baute Mist, aber ich stand als Schuldiger da. An diesem Tag hatte ich meine erste Panikattacke.
Es war, als würde mir jemand die Luft abdrücken. Mein Herz raste, ich schwitzte und dachte, ich muss sterben. Danach kamen immer mehr von diesen Attacken, besonders wenn ich nach einem harten Arbeitstag nach Hause kam und eigentlich nur abschalten wollte.
Mein Hausarzt schickte mich zu einem Psychiater hier im Ort. Der sagte, ich hätte eine Panikstörung und verschrieb mir Antidepressiva. Die Tabletten halfen nicht gegen die Panik, aber sie nahmen mir jede Lust auf Sex. Komischerweise entspannte das die Beziehung zu meiner Frau etwas. Sie hatte nach dem zweiten Kind sowieso kaum noch Interesse daran.
So vergingen sieben Jahre. Die Tabletten dämpften alles in mir. Ich fühlte kaum noch was – weder Freude noch Trauer. Nur wenn die Panikattacken kamen, zwei- bis dreimal im Monat, war es wieder da, dieses schreckliche Gefühl. In einer psychosomatischen Klinik hatte ich gelernt, dass die Attacken zwar furchtbar sind, aber vorübergehen und nicht tödlich sind.
Die Wende kam, als einer unserer Kfz-Meister im Betrieb ebenfalls Panikattacken bekam. Er machte einen Online-Selbsthilfekurs und war nach wenigen Wochen die Attacken los. Ich sprach ihn an und er sagte mir etwas, das mein Leben für immer verändern sollte: „Panikattacken sind bei Leuten wie dir und mir ein Hilferuf der Seele. Sie zeigen uns, dass wir uns was schönquatschen, das längst nicht mehr schön ist. Trotzdem halten wir krampfhaft an unserer Lebenslüge fest. Wir machen das, weil wir einfach zu lange und zu hart dafür gearbeitet haben, um endlich ans Ziel zu kommen. Und sich dann eingestehen zu müssen, dass es sich dort nicht so anfühlt, wie wir uns das immer gewünscht haben, ist echt eine Kröte, die schwer zu schlucken ist.“
Nach mehreren schlaflosen Nächten wurde mir klar: Genau das trifft auch auf mich zu. Die Liebe zu meiner Frau war nicht mehr da. Die Arbeit mit meinem Schwiegervater war ein einziger Spießrutenlauf geworden. Selbst in meinem Haus fühlte ich mich unwohl, so nah bei den Schwiegereltern. Ich war wie ein Gefangener im eigenen Leben – ich funktionierte nur noch, aber lebte nicht mehr.
Ich suchte mir eine neue Arbeitsstelle. Das sorgte für viel Ärger in der Familie. Kurz darauf trennte ich mich von meiner Frau, die nur noch Verachtung für mich übrig hatte, weil ich nicht mehr im Familienbetrieb arbeiten wollte. Aber vom Tag meiner Entscheidung an waren die Panikattacken weg. Einfach weg. Und sie sind bis heute nicht wiedergekommen.
Heute verstehe ich: Die Panik wollte mir etwas sagen. Sie war wie ein Alarmsignal meines Körpers, das mir zeigte, dass ich in einem Leben festsaß, das nicht meins war. Manchmal denke ich, dass diese Panikattacken, so schrecklich sie waren, mich gerettet haben. Sie haben mich gezwungen, etwas in mein Leben zu ändern, dass ich ohne die Panikstörung nie geändert hätte.
Marc F. aus Köln