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Eine Frau blickt besorgt um sich, während eine Freundin sie beobachtet. Ihre Umgebung wirkt durch eine Derealisationsstörung fremd, farblos und unwirklich.

Derealisation überwinden: Symptome, Ursachen und Behandlung

Derealisation ist eine dissoziative Wahrnehmungsstörung, bei der Betroffene ihre Umwelt als fremd, unwirklich, künstlich, farblos oder leblos empfinden. Derealisationsstörungen können z.B. nach traumatischen Erfahrungen, Drogenkonsum oder auch in Rahmen einer Angststörung auftreten. In diesem Artikel erfahren Sie alles über Symptome, Ursachen und wirksame Selbsthilfetechniken bei Derealisation.

Alle Themen im Überblick

Was ist Derealisation? Wenn die Welt plötzlich unwirklich erscheint

Kennen Sie das Gefühl, als wäre plötzlich alles um Sie herum nicht mehr echt? Als würden Sie die Welt durch einen Nebel oder eine Glasscheibe wahrnehmen? Genau das erleben Menschen mit Derealisation.

Derealisation ist eine Wahrnehmungsstörung, bei der die Umgebung fremd, unwirklich oder verzerrt erscheint. Ihre Sinneseindrücke fühlen sich gedämpft an, Farben wirken blasser und Geräusche klingen seltsam verändert.

Wichtig zu wissen: Derealisation ist keine Psychose oder Halluzination. Sie nehmen die Realität verändert wahr, verlieren jedoch nicht den Bezug zur Wirklichkeit. Sie wissen, dass etwas nicht stimmt – und genau diese Erkenntnis unterscheidet Derealisation von schwerwiegenderen psychischen Erkrankungen.

Derealisation oder Depersonalisation – Wo liegt der Unterschied?

Diese beiden Phänomene treten oft gemeinsam auf, unterscheiden sich jedoch grundlegend:

  • Derealisation: Die Außenwelt erscheint unwirklich oder fremd
  • Depersonalisation: Das eigene Selbst fühlt sich fremd an, als wären Sie von sich selbst getrennt

Beide Zustände werden unter dem Begriff „Dissoziative Störungen“ zusammengefasst und haben ähnliche Auslöser.

Typische Symptome der Derealisation im Alltag erkennen

Derealisation äußert sich durch verschiedene Wahrnehmungsveränderungen:

  • Die Umgebung erscheint fremd, unwirklich oder wie im Traum
  • Menschen und Gegenstände wirken seltsam verändert oder leblos
  • Visuelle Eindrücke können flach, farblos, verschwommen oder zweidimensional wirken
  • Verzerrtes Zeitgefühl – Sekunden können wie Stunden erscheinen
  • Gefühl der Entfremdung von der gewohnten Umgebung
  • Angst, „verrückt zu werden“ oder die Kontrolle zu verlieren
  • Begleitende körperliche Symptome wie Schwindel oder Benommenheit
Junger Mann schaut sich im Badezimmer im Spiegel an; das Bild soll Gefühle von Derealisation oder Selbstentfremdung symbolisieren.

Bin ich das im Spiegel? Wenn Blicke fremd werden

Ein besonders beunruhigendes Symptom der Derealisation ist die veränderte Art, Blicke wahrzunehmen. Das gilt sowohl für den Augenkontakt mit anderen als auch für den Blick auf das eigene Spiegelbild. Dieser Aspekt verdient besondere Aufmerksamkeit, da er viele Betroffene stark verunsichert.

Bei Derealisation können Ihre Augen und die Augen anderer Menschen plötzlich fremd erscheinen. Es ist, als würden Sie durch einen Filter schauen, der die emotionale Verbindung kappt. Stellen Sie sich vor, Sie betrachten ein Familienfoto, auf dem Sie alle Gesichter erkennen – aber irgendwie fühlt sich nichts davon „echt“ oder vertraut an. Am Institut für moderne Psychotherapie in Berlin konnten wir vier Variationen dieses Phänomens besonders häufig bei Patienten beobachten:

  1. Der eigene Blick fühlt sich verändert an: Beim Blick in den Spiegel erkennt man zwar sein Gesicht, die eigenen Augen wirken aber fremd, fast so, als würden sie einem anderen Menschen gehören. Betroffene beschreiben es oft als „leeren“ oder „gläsernen“ Blick.
  2. Die Augen anderer Menschen erscheinen leblos: Selbst die Augen vertrauter Personen können plötzlich ausdruckslos oder wie die Augen einer Puppe wirken. Die übliche emotionale Resonanz, die man beim Blickkontakt spürt, bleibt aus.
  3. Blickkontakt fühlt sich unnatürlich an: Was normalerweise automatisch geschieht, erfordert plötzlich bewusste Anstrengung. Blickkontakt kann sich unangenehm oder sogar bedrohlich anfühlen.
  4. Wahrnehmung von Gesichtern verändert sich: Gesichtszüge können seltsam verzerrt oder unwirklich erscheinen, als würden man eine Maske betrachten statt ein menschliches Gesicht.

Dieser Wahrnehmungsstörungen sind vor allem deswegen so beunruhigend, weil wir Menschen von Natur aus ein „soziales Gehirn“ haben. Unsere Nervensysteme sind darauf programmiert, über Blickkontakt tiefe Verbindungen herzustellen. Schon als Babys orientieren wir uns an Augen unserer Eltern und lernen durch sie, die Welt zu verstehen.

Dennoch ist diese Form der Derealisation nicht gefährlich. Die vorübergehende Veränderung der Wahrnehmung ist lediglich ein Schutzmechanismus des Gehirns. Bei Überlastung reduziert es die emotionale Verarbeitung visueller Eindrücke, besonders von Gesichtern und Augen, da diese normalerweise starke Gefühle auslösen.

Praktische Übungen bei veränderter Bick-Wahrnehmung

  1. Bewusste Blickübungen: Üben Sie sanften Blickkontakt vor dem Spiegel. Beginnen Sie mit kurzen Momenten und steigern Sie langsam die Dauer. Sagen Sie dabei innerlich beruhigende Worte wie „Ich bin in Sicherheit“.
  2. Die „weicher Blick“-Technik: Entspannen Sie Ihre Augenmuskulatur bewusst und lassen Sie Ihren Blick weich werden, als würden Sie durch ein Objekt hindurchschauen statt es fixieren. Dies reduziert die Anspannung der Augen und ermöglicht wieder eine emotionalere Verbindung über Blickkontakte.
  3. Gedankliche Umdeutung: Wenn der fremde Blick Sie beunruhigt, sagen Sie sich: „Dies ist nur ein vorübergehendes Symptom meines überreizten Nervensystems – kein Zeichen für etwas Bedrohliches.“
  4. Fokus-Verschiebung: Konzentrieren Sie sich bei Gesprächen zeitweise auf die Nasenspitze oder Stirn Ihres Gegenübers, statt direkt in die Augen zu schauen, wenn der Blickkontakt zu belastend wird.

Die veränderte Blick-Wahrnehmung verschwindet meist von selbst, sobald sich Ihr Nervensystem wieder beruhigt hat. Mit den genannten Techniken können Sie diesen Prozess aktiv unterstützen.

Selbsttest: Erleben Sie Derealisation?

Beantworten Sie die folgenden Fragen mit Ja oder Nein:

  • Fühlt sich Ihre Umgebung manchmal unwirklich oder fremd an?
  • Haben Sie das Gefühl, durch eine unsichtbare Barriere von der Welt getrennt zu sein?
  • Erscheinen Ihnen vertraute Orte oder Personen plötzlich fremd?
  • Nehmen Sie Farben, Geräusche oder Formen verändert wahr?
  • Erleben Sie diese Symptome besonders in Stresssituationen?

Wenn Sie drei oder mehr Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, könnten Sie unter Derealisation leiden.

Ursachen von Derealisation: Warum fühlt sich die Welt unwirklich an?

Derealisation ist keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Schutzmechanismus Ihres Gehirns. In belastenden Situationen kann es die Verbindung zur Außenwelt vorübergehend reduzieren, um Sie emotional zu schützen. Häufige Auslöser sind:

Psychische Belastungen als Hauptauslöser der Derealisation

  • Angststörungen, besonders Panikattacken
  • Anhaltender Stress und Überforderung
  • Traumatische Erlebnisse
  • Depression und emotionale Erschöpfung
  • Schlafmangel und körperliche Erschöpfungszustände

Körperliche Faktoren und Derealisation

  • Migräne und andere neurologische Erkrankungen
  • Nebenwirkungen bestimmter Medikamente
  • Konsum von Alkohol, Cannabis oder anderen Substanzen
  • Hormonelle Veränderungen
  • Erschöpfung und Schlafmangel
Close-up von Fuessen, die barfuss auf einem Waldweg gehen. Dies kann das Gefuehl der Derealisation lindern.

Wirksame Selbsthilfe bei akuter Derealisation

Als Leiter des Instituts für moderne Psychotherapie in Berlin konnte ich schon sehr oft beobachten, dass Derealisation besonders häufig als Symptom einer Angsterkrankung auftritt. Glücklicherweise konnten meine Kollegen und ich in den vergangenen Jahren eine Reihe neurowissenschaftlich basierter Angst-Stopp-Techniken entwickeln, die nicht nur schnell gegen Ängste helfen. Diese Techniken können auch viele unangenehme Angstsymptome wie Schwindel, Derealisation, Depersonalisation und sogar aufkommende Panikattacken binnen Sekunden stoppen. Wer will, kann all diese bewährten Techniken in wenigen Stunden über einen Online-Videokurs erlernen und anschließend sicher anwenden.

Alternativ können Sie natürlich auch eine der folgenden Methoden ausprobieren, die nach wie vor häufig in psychosomatischen Kliniken zum Einsatz kommen:

  1. Sinnesreize intensivieren: Berühren Sie etwas mit intensiver Textur (raue Oberfläche, Eiswürfel) oder riechen Sie an intensiven Düften wie ätherischen Ölen
  2. Erdung durch Bewegung: Gehen Sie bewusst, wenn möglich sogar barfuß, und spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen
  3. 5-4-3-2-1-Technik: Benennen Sie 5 Dinge, die Sie sehen, 4 Dinge, die Sie fühlen, 3 Dinge, die Sie hören, 2 Dinge, die Sie riechen und 1 Ding, das Sie schmecken
  4. Atmung regulieren: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden Atem anhalten, 8 Sekunden ausatmen. Schon nach wenigen Wiederholungen beruhigt sich das Nervensystem für gewöhnlich, was die Derealisationsgefühle lindern kann.

Langfristige Strategien zur Überwindung der Derealisation

Um Derealisation dauerhaft zu bewältigen, sind kontinuierliche Maßnahmen hilfreich:

Psychotherapeutische Ansätze bei chronischer Derealisation

  • Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) – hilft, negative Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern
  • EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) – besonders bei traumabedingter Derealisation
  • Achtsamkeitsbasierte Therapien – fördern die Verbindung zum gegenwärtigen Moment
  • Die Bernhardt-Methode bietet einen neuroplastisch orientierten Ansatz, der auf schnelle Veränderung der Gehirnaktivität abzielt

Neuroplastische Umtrainierung des Gehirns gegen Derealisation

Für eine dauerhafte Überwindung einer Derealisationsstörung ist es wichtig, nicht nur akute Symptome zu bekämpfen, sondern sein mentales Verarbeitungssystem neu zu trainieren. Hierbei nutzen wir die Neuroplastizität – die wunderbare Fähigkeit Ihres Gehirns, sich durch neue Erfahrungen umzustrukturieren.

Eine „Positive Bibliothek“ erschaffen

Stellen Sie sich Ihr Gehirn wie eine Bibliothek vor, in der Erfahrungen als Bücher abgelegt sind. Bei Derealisation scheint das „Buch des leichten Lebens“ vorübergehend verschollen. So finden Sie es wieder:

  1. Sammeln Sie bewusst positive Erfahrungen: Nehmen Sie sich täglich 10–15 Minuten Zeit, um bewusst angenehme Erlebnisse zu sammeln. Das kann die wärmende Sonne auf Ihrer Haut sein, ein schönes Kompliment von Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin, der Geruch Ihres Lieblingsparfums oder auch ein gutes Essen, dass Sie ganz bewusst genießen.
  2. Bewusstes Verankern: Während Sie schöne Dinge bewusst wahrnehmen – und das möglichst über alle 5 Sinneskanäle, verankern Sie dieses Gefühl. Sie könnten dafür zum Daumen und Zeigefinder Ihrer linken Hand einen Moment fest zusammendrücken. Je öfter Sie dieses Prozedere wiederholen, umso mehr können Sie positive Erinnerungen an gute Gefühle auch dadurch aktivieren, dass Sie die beiden Finger erneut aufeinander pressen.
  3. Tägliche Wiederholung: Wie beim Muskeltraining gilt auch hier: Regelmäßigkeit schafft neue neuronale Bahnen. Durch tägliches Üben bilden sich mehr und mehr Verbindungen in Ihrem Gehirn, die Ihre Aufmerksamkeit weg von der Derealisation und hin zu all den Dingen lenkt, die das Leben angenehm und leicht machen.
Eine Frau liegt entspannt auf einem Sofa mit geschlossenen Augen und ihren Haenden auf dem Bauch, als Bewaeltigungsstrategie gegen eine Derealisationsstörung.

Änderungen des Lebensstils gegen Derealisation

Psychische Probleme haben in aller Regel nicht nur eine Ursache, sondern meist steckt eine Kombination mehrerer Auslöser dahinter. Bewusste Veränderungen des Lebensstils sind deshalb oft hilfreich, um mehr Energie für alle jene „Baustellen“ aufzubringen, von denen Ihre Psyche meint, dass sie dringend mal angegangen werden sollte. Mit den nachfolgenden 5 Punkten können Sie auf keinen Fall etwas falsch machen.

  • Regelmäßige Bewegung und Sport
  • Ausreichend Schlaf (7–8 Stunden)
  • Ausgewogene Ernährung
  • Reduktion von Stress durch Entspannungstechniken
  • Verzicht auf Alkohol, Koffein und andere stimulierende Substanzen

Wichtiger Hinweis: Wenn Sie es gewohnt sind, täglich Kaffee zu trinken, dann reduzieren Sie die Dosis bitte sanft. Ein plötzlicher Koffein-Entzug kann nämliche starke Kopfschmerzen nach sich ziehen, die mitunter mehrere Tage anhalten. 

Wann sollten Sie bei Derealisation professionelle Hilfe suchen?

Suchen Sie ärztliche oder therapeutische Unterstützung, wenn:

  • Die Symptome über mehrere Wochen anhalten
  • Derealisation Ihren Alltag stark beeinträchtigt
  • Zusätzliche Symptome wie starke Ängste oder Depressionen auftreten
  • Die Symptome nach einem traumatischen Erlebnis begonnen haben
  • Selbsthilfetechniken keine Besserung bringen

Häufige Fragen zum Thema Derealisation

Disclaimer / Haftungsausschluss

Dieser Artikel soll Sie umfassend informieren und Ihnen neue Perspektiven eröffnen. Er ergänzt, aber ersetzt nicht die individuelle Diagnose oder Behandlung durch medizinisches Fachpersonal. Bei gesundheitlichen Fragen: Holen Sie sich professionelle Hilfe – und nutzen Sie unsere Tipps als kraftvolle Unterstützung.

Wissenschaftliche Studien zum Thema

  • Gysi, J. (2024). Depersonalisations-Derealisationsstörung – Chronische Abspaltung von Gefühlen und Körper. Vortrag, 17. Grazer Psychiatrisch-Psychosomatische Tagung, 19.01.2024. Zusammenfassung: Übersicht zu Symptomatik, Diagnostik und Therapie der Depersonalisations-Derealisationsstörung mit Bezug auf ICD-11 und aktuelle Forschungsergebnisse. Enthält Hinweise auf systematische Übersichtsarbeiten und klinische Erfahrungen. https://www.lkh-graz2.at/fileadmin/media/lkh-graz2/Dokumente/Veranstaltungen/Psychiatrisch-Psychosomatische_Tagung/2024_01_19-Vortrag-DrGysi.pdf

  • Michal, M., Adler, J., & Reiner, I. (2010). Screening nach Depersonalisation-Derealisation mittels zweier Kurzitems der Cambridge Depersonalisation Scale (CDS-2). Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 60(5), 186–192. Zusammenfassung: Peer-Review-Studie zur Validierung eines Kurzscreenings für Depersonalisation/Derealisation anhand der CDS-2, mit Ergebnissen zur Sensitivität und Spezifität. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0029-1224098

  • Schmahl, C., Michal, M., & Niedtfeld, I. (2024). Die Depersonalisations-Derealisationsstörung. Der Nervenarzt, 95(7), 662–669. Zusammenfassung: Übersichtsartikel zu Symptomen, Diagnostik, Epidemiologie und Therapie der Depersonalisations-Derealisationsstörung mit aktuellen klinischen Empfehlungen. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-2078-1035

  • Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). (2014). S2k-Leitlinie: Diagnostik und Behandlung des Depersonalisations-Derealisationssyndroms (AWMF-Registernummer 051-030). Zusammenfassung: Offizielle Leitlinie mit Empfehlungen zu Diagnostik, Differenzialdiagnose und Therapie der Störung, inkl. Bezug zu DSM-5 und ICD-10/11. https://register.awmf.org/assets/guidelines/051-030l_S2k_Depersonalisations_Derealisationssyndrom-abgelaufen_2014-09.pdf

  • Simeon, D., & Knutelska, M. (2023). The Multidimensional Inventory of Dissociation (MID) in Depersonalization Disorder: General Findings with a clinical emphasis on memory and identity disturbances. Journal of Trauma & Dissociation, 24(2), 185–196. Zusammenfassung: Peer-Review-Studie zur Anwendung und Aussagekraft des MID bei Patienten mit Depersonalisationsstörung, Fokus auf Gedächtnis und Identitätsaspekte. https://doi.org/10.1080/15299732.2022.2119634