Derealisation ist eine dissoziative Wahrnehmungsstörung, bei der Betroffene ihre Umwelt als fremd, unwirklich, künstlich, farblos oder leblos empfinden. Derealisationsstörungen können z.B. nach traumatischen Erfahrungen, Drogenkonsum oder auch in Rahmen einer Angststörung auftreten. In diesem Artikel erfahren Sie alles über Symptome, Ursachen und wirksame Selbsthilfetechniken bei Derealisation.
Alle Themen im Überblick
Was ist Derealisation? Wenn die Welt plötzlich unwirklich erscheint
Kennen Sie das Gefühl, als wäre plötzlich alles um Sie herum nicht mehr echt? Als würden Sie die Welt durch einen Nebel oder eine Glasscheibe wahrnehmen? Genau das erleben Menschen mit Derealisation.
Derealisation ist eine Wahrnehmungsstörung, bei der die Umgebung fremd, unwirklich oder verzerrt erscheint. Ihre Sinneseindrücke fühlen sich gedämpft an, Farben wirken blasser und Geräusche klingen seltsam verändert.
Wichtig zu wissen: Derealisation ist keine Psychose oder Halluzination. Sie nehmen die Realität verändert wahr, verlieren jedoch nicht den Bezug zur Wirklichkeit. Sie wissen, dass etwas nicht stimmt – und genau diese Erkenntnis unterscheidet Derealisation von schwerwiegenderen psychischen Erkrankungen.
Derealisation oder Depersonalisation – Wo liegt der Unterschied?
Diese beiden Phänomene treten oft gemeinsam auf, unterscheiden sich jedoch grundlegend:
- Derealisation: Die Außenwelt erscheint unwirklich oder fremd
- Depersonalisation: Das eigene Selbst fühlt sich fremd an, als wären Sie von sich selbst getrennt
Beide Zustände werden unter dem Begriff „Dissoziative Störungen“ zusammengefasst und haben ähnliche Auslöser.
Typische Symptome der Derealisation im Alltag erkennen
Derealisation äußert sich durch verschiedene Wahrnehmungsveränderungen:
- Die Umgebung erscheint fremd, unwirklich oder wie im Traum
- Menschen und Gegenstände wirken seltsam verändert oder leblos
- Visuelle Eindrücke können flach, farblos, verschwommen oder zweidimensional wirken
- Verzerrtes Zeitgefühl – Sekunden können wie Stunden erscheinen
- Gefühl der Entfremdung von der gewohnten Umgebung
- Angst, „verrückt zu werden“ oder die Kontrolle zu verlieren
- Begleitende körperliche Symptome wie Schwindel oder Benommenheit
Bin ich das im Spiegel? Wenn Blicke fremd werden
Ein besonders beunruhigendes Symptom der Derealisation ist die veränderte Art, Blicke wahrzunehmen. Das gilt sowohl für den Augenkontakt mit anderen als auch für den Blick auf das eigene Spiegelbild. Dieser Aspekt verdient besondere Aufmerksamkeit, da er viele Betroffene stark verunsichert.
Bei Derealisation können Ihre Augen und die Augen anderer Menschen plötzlich fremd erscheinen. Es ist, als würden Sie durch einen Filter schauen, der die emotionale Verbindung kappt. Stellen Sie sich vor, Sie betrachten ein Familienfoto, auf dem Sie alle Gesichter erkennen – aber irgendwie fühlt sich nichts davon „echt“ oder vertraut an. Am Institut für moderne Psychotherapie in Berlin konnten wir vier Variationen dieses Phänomens besonders häufig bei Patienten beobachten:
- Der eigene Blick fühlt sich verändert an: Beim Blick in den Spiegel erkennt man zwar sein Gesicht, die eigenen Augen wirken aber fremd, fast so, als würden sie einem anderen Menschen gehören. Betroffene beschreiben es oft als „leeren“ oder „gläsernen“ Blick.
- Die Augen anderer Menschen erscheinen leblos: Selbst die Augen vertrauter Personen können plötzlich ausdruckslos oder wie die Augen einer Puppe wirken. Die übliche emotionale Resonanz, die man beim Blickkontakt spürt, bleibt aus.
- Blickkontakt fühlt sich unnatürlich an: Was normalerweise automatisch geschieht, erfordert plötzlich bewusste Anstrengung. Blickkontakt kann sich unangenehm oder sogar bedrohlich anfühlen.
- Wahrnehmung von Gesichtern verändert sich: Gesichtszüge können seltsam verzerrt oder unwirklich erscheinen, als würden man eine Maske betrachten statt ein menschliches Gesicht.
Dieser Wahrnehmungsstörungen sind vor allem deswegen so beunruhigend, weil wir Menschen von Natur aus ein „soziales Gehirn“ haben. Unsere Nervensysteme sind darauf programmiert, über Blickkontakt tiefe Verbindungen herzustellen. Schon als Babys orientieren wir uns an Augen unserer Eltern und lernen durch sie, die Welt zu verstehen.
Dennoch ist diese Form der Derealisation nicht gefährlich. Die vorübergehende Veränderung der Wahrnehmung ist lediglich ein Schutzmechanismus des Gehirns. Bei Überlastung reduziert es die emotionale Verarbeitung visueller Eindrücke, besonders von Gesichtern und Augen, da diese normalerweise starke Gefühle auslösen.
Praktische Übungen bei veränderter Bick-Wahrnehmung
- Bewusste Blickübungen: Üben Sie sanften Blickkontakt vor dem Spiegel. Beginnen Sie mit kurzen Momenten und steigern Sie langsam die Dauer. Sagen Sie dabei innerlich beruhigende Worte wie „Ich bin in Sicherheit“.
- Die „weicher Blick“-Technik: Entspannen Sie Ihre Augenmuskulatur bewusst und lassen Sie Ihren Blick weich werden, als würden Sie durch ein Objekt hindurchschauen statt es fixieren. Dies reduziert die Anspannung der Augen und ermöglicht wieder eine emotionalere Verbindung über Blickkontakte.
- Gedankliche Umdeutung: Wenn der fremde Blick Sie beunruhigt, sagen Sie sich: „Dies ist nur ein vorübergehendes Symptom meines überreizten Nervensystems – kein Zeichen für etwas Bedrohliches.“
- Fokus-Verschiebung: Konzentrieren Sie sich bei Gesprächen zeitweise auf die Nasenspitze oder Stirn Ihres Gegenübers, statt direkt in die Augen zu schauen, wenn der Blickkontakt zu belastend wird.
Die veränderte Blick-Wahrnehmung verschwindet meist von selbst, sobald sich Ihr Nervensystem wieder beruhigt hat. Mit den genannten Techniken können Sie diesen Prozess aktiv unterstützen.
Selbsttest: Erleben Sie Derealisation?
Beantworten Sie die folgenden Fragen mit Ja oder Nein:
- Fühlt sich Ihre Umgebung manchmal unwirklich oder fremd an?
- Haben Sie das Gefühl, durch eine unsichtbare Barriere von der Welt getrennt zu sein?
- Erscheinen Ihnen vertraute Orte oder Personen plötzlich fremd?
- Nehmen Sie Farben, Geräusche oder Formen verändert wahr?
- Erleben Sie diese Symptome besonders in Stresssituationen?
Wenn Sie drei oder mehr Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, könnten Sie unter Derealisation leiden.
Ursachen von Derealisation: Warum fühlt sich die Welt unwirklich an?
Derealisation ist keine eigenständige Erkrankung, sondern ein Schutzmechanismus Ihres Gehirns. In belastenden Situationen kann es die Verbindung zur Außenwelt vorübergehend reduzieren, um Sie emotional zu schützen. Häufige Auslöser sind:
Psychische Belastungen als Hauptauslöser der Derealisation
- Angststörungen, besonders Panikattacken
- Anhaltender Stress und Überforderung
- Traumatische Erlebnisse
- Depression und emotionale Erschöpfung
- Schlafmangel und körperliche Erschöpfungszustände
Körperliche Faktoren und Derealisation
- Migräne und andere neurologische Erkrankungen
- Nebenwirkungen bestimmter Medikamente
- Konsum von Alkohol, Cannabis oder anderen Substanzen
- Hormonelle Veränderungen
- Erschöpfung und Schlafmangel
Wirksame Selbsthilfe bei akuter Derealisation
Als Leiter des Instituts für moderne Psychotherapie in Berlin konnte ich schon sehr oft beobachten, dass Derealisation besonders häufig als Symptom einer Angsterkrankung auftritt. Glücklicherweise konnten meine Kollegen und ich in den vergangenen Jahren eine Reihe neurowissenschaftlich basierter Angst-Stopp-Techniken entwickeln, die nicht nur schnell gegen Ängste helfen. Diese Techniken können auch viele unangenehme Angstsymptome wie Schwindel, Derealisation, Depersonalisation und sogar aufkommende Panikattacken binnen Sekunden stoppen. Wer will, kann all diese bewährten Techniken in wenigen Stunden über einen Online-Videokurs erlernen und anschließend sicher anwenden.
Alternativ können Sie natürlich auch eine der folgenden Methoden ausprobieren, die nach wie vor häufig in psychosomatischen Kliniken zum Einsatz kommen:
- Sinnesreize intensivieren: Berühren Sie etwas mit intensiver Textur (raue Oberfläche, Eiswürfel) oder riechen Sie an intensiven Düften wie ätherischen Ölen
- Erdung durch Bewegung: Gehen Sie bewusst, wenn möglich sogar barfuß, und spüren Sie den Boden unter Ihren Füßen
- 5-4-3-2-1-Technik: Benennen Sie 5 Dinge, die Sie sehen, 4 Dinge, die Sie fühlen, 3 Dinge, die Sie hören, 2 Dinge, die Sie riechen und 1 Ding, das Sie schmecken
- Atmung regulieren: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden Atem anhalten, 8 Sekunden ausatmen. Schon nach wenigen Wiederholungen beruhigt sich das Nervensystem für gewöhnlich, was die Derealisationsgefühle lindern kann.
Langfristige Strategien zur Überwindung der Derealisation
Um Derealisation dauerhaft zu bewältigen, sind kontinuierliche Maßnahmen hilfreich:
Psychotherapeutische Ansätze bei chronischer Derealisation
- Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) – hilft, negative Gedankenmuster zu erkennen und zu verändern
- EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) – besonders bei traumabedingter Derealisation
- Achtsamkeitsbasierte Therapien – fördern die Verbindung zum gegenwärtigen Moment
- Die Bernhardt-Methode bietet einen neuroplastisch orientierten Ansatz, der auf schnelle Veränderung der Gehirnaktivität abzielt
Neuroplastische Umtrainierung des Gehirns gegen Derealisation
Für eine dauerhafte Überwindung einer Derealisationsstörung ist es wichtig, nicht nur akute Symptome zu bekämpfen, sondern sein mentales Verarbeitungssystem neu zu trainieren. Hierbei nutzen wir die Neuroplastizität – die wunderbare Fähigkeit Ihres Gehirns, sich durch neue Erfahrungen umzustrukturieren.
Eine „Positive Bibliothek“ erschaffen
Stellen Sie sich Ihr Gehirn wie eine Bibliothek vor, in der Erfahrungen als Bücher abgelegt sind. Bei Derealisation scheint das „Buch des leichten Lebens“ vorübergehend verschollen. So finden Sie es wieder:
- Sammeln Sie bewusst positive Erfahrungen: Nehmen Sie sich täglich 10–15 Minuten Zeit, um bewusst angenehme Erlebnisse zu sammeln. Das kann die wärmende Sonne auf Ihrer Haut sein, ein schönes Kompliment von Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin, der Geruch Ihres Lieblingsparfums oder auch ein gutes Essen, dass Sie ganz bewusst genießen.
- Bewusstes Verankern: Während Sie schöne Dinge bewusst wahrnehmen – und das möglichst über alle 5 Sinneskanäle, verankern Sie dieses Gefühl. Sie könnten dafür zum Daumen und Zeigefinder Ihrer linken Hand einen Moment fest zusammendrücken. Je öfter Sie dieses Prozedere wiederholen, umso mehr können Sie positive Erinnerungen an gute Gefühle auch dadurch aktivieren, dass Sie die beiden Finger erneut aufeinander pressen.
- Tägliche Wiederholung: Wie beim Muskeltraining gilt auch hier: Regelmäßigkeit schafft neue neuronale Bahnen. Durch tägliches Üben bilden sich mehr und mehr Verbindungen in Ihrem Gehirn, die Ihre Aufmerksamkeit weg von der Derealisation und hin zu all den Dingen lenkt, die das Leben angenehm und leicht machen.
Änderungen des Lebensstils gegen Derealisation
Psychische Probleme haben in aller Regel nicht nur eine Ursache, sondern meist steckt eine Kombination mehrerer Auslöser dahinter. Bewusste Veränderungen des Lebensstils sind deshalb oft hilfreich, um mehr Energie für alle jene „Baustellen“ aufzubringen, von denen Ihre Psyche meint, dass sie dringend mal angegangen werden sollte. Mit den nachfolgenden 5 Punkten können Sie auf keinen Fall etwas falsch machen.
- Regelmäßige Bewegung und Sport
- Ausreichend Schlaf (7–8 Stunden)
- Ausgewogene Ernährung
- Reduktion von Stress durch Entspannungstechniken
- Verzicht auf Alkohol, Koffein und andere stimulierende Substanzen
Wichtiger Hinweis: Wenn Sie es gewohnt sind, täglich Kaffee zu trinken, dann reduzieren Sie die Dosis bitte sanft. Ein plötzlicher Koffein-Entzug kann nämliche starke Kopfschmerzen nach sich ziehen, die mitunter mehrere Tage anhalten.
Wann sollten Sie bei Derealisation professionelle Hilfe suchen?
Suchen Sie ärztliche oder therapeutische Unterstützung, wenn:
- Die Symptome über mehrere Wochen anhalten
- Derealisation Ihren Alltag stark beeinträchtigt
- Zusätzliche Symptome wie starke Ängste oder Depressionen auftreten
- Die Symptome nach einem traumatischen Erlebnis begonnen haben
- Selbsthilfetechniken keine Besserung bringen
Häufige Fragen zum Thema Derealisation
Bei normaler Erschöpfung fühlen Sie sich müde und weniger aufnahmefähig – die Welt erscheint aber weiterhin real und vertraut. Bei Derealisation hingegen verändert sich Ihre Wahrnehmung grundlegend: Die Umgebung wirkt fremdartig, wie hinter einer Glasscheibe oder wie in einem Film.
Der entscheidende Unterschied liegt in der Qualität des Erlebens. Bei Erschöpfung denken Sie: „Ich bin zu müde, um mich zu konzentrieren.“ Bei Derealisation hingegen denken Sie: „Etwas stimmt nicht mit meiner Wahrnehmung – alles sieht seltsam aus.“
Ihre Erschöpfung ist wie ein Computer mit niedrigem Akkustand, der langsamer wird. Derealisation ist wie ein Computer, der bestimmte Programme (die emotionale Verarbeitung von Eindrücken) bewusst schließt, um Systemressourcen zu sparen.
Derealisation selbst ist nicht gefährlich – sie ist ein Schutzmechanismus Ihres Gehirns, keine Krankheit. Ihr Gehirn versucht, Sie vor Überlastung zu schützen, indem es vorübergehend die emotionale Intensität Ihrer Wahrnehmung reduziert.
Das größte Risiko bei Derealisation ist nicht der Zustand selbst, sondern die Angst davor. Wenn Sie sich über die seltsamen Wahrnehmungen sorgen und befürchten, „verrückt zu werden“, entsteht ein Teufelskreis aus Angst, der die Symptome verstärken kann.
Mit dem richtigen Wissen und geeigneten Techniken ist Derealisation ein vorübergehender Zustand, der keine bleibenden Schäden hinterlässt. Sollte die Derealisation jedoch über Monate anhalten oder den Alltag stark beeinträchtigen, sollten Sie professionelle Hilfe suchen.
Unser Gehirn verarbeitet Gesichter und besonders Augen in speziellen Hirnarealen, die eng mit unserem emotionalen System verbunden sind. Diese „Gesichtserkennungs-Schaltkreise“ sind evolutionär besonders wichtig für unsere soziale Verbindung.
Bei Derealisation reduziert Ihr überreiztes Gehirn gezielt die emotionale Verarbeitung, um Energie zu sparen. Da Gesichter und Augen normalerweise stark mit Emotionen verbunden sind, fällt hier die Veränderung besonders deutlich auf. Es ist, als würde Ihr Gehirn den „emotionalen Filter“ abschalten, durch den Sie normalerweise Menschen wahrnehmen.
Stellen Sie sich vor: In einer Galerie werden plötzlich alle farbigen Lichter gedimmt – die farbenfrohesten Bilder erscheinen dann am stärksten verändert. Genauso wirkt sich Derealisation am stärksten auf die emotionalsten Aspekte Ihrer Wahrnehmung aus – und dazu gehören Gesichter und Blicke.
Sie könnten sagen: „Mein Gehirn ist momentan wie ein Computer im Energiesparmodus. Es reduziert vorübergehend die Intensität meiner Wahrnehmungen, um mit Stress umzugehen. Ich sehe alles, aber es fühlt sich etwas distanziert oder unwirklich an – als würde ich einen Film schauen, statt mittendrin zu sein.“
Eine andere hilfreiche Erklärung ist: „Stell dir vor, du hast tagelang kaum geschlafen und musst dann einen 3D-Film ohne 3D-Brille anschauen – alles sieht etwas unscharf und flach aus, aber ich weiß trotzdem, dass alles real ist. Es ist ein vorübergehender Zustand, keine Krankheit.“
Die meisten Menschen kennen ähnliche Zustände aus eigener Erfahrung – etwa das Gefühl der Unwirklichkeit nach einem traumatischen Ereignis oder in extremen Stresssituationen. Diese Verbindung kann helfen, Verständnis zu schaffen.
Unsere Atmung ist die einzige Körperfunktion, die sowohl automatisch abläuft, als auch bewusst gesteuert werden kann – sie bildet daher eine direkte Brücke zwischen bewussten und unbewussten Prozessen in unserem Nervensystem.
Bei Derealisation ist Ihr autonomes Nervensystem oft in einem leicht aktivierten Zustand (erhöhter Sympathikotonus). Langsame, tiefe Atmung aktiviert den Parasympathikus – den „Ruhe und Verdauen“-Teil Ihres Nervensystems – und sendet Ihrem Gehirn das Signal: „Alles ist sicher, du kannst dich entspannen.“
Die 4-7-8-Atemtechnik ist besonders wirksam: 4 Sekunden einatmen, 7 Sekunden den Atem halten, 8 Sekunden ausatmen. Schon nach 2–3 Wiederholungen beruhigt sich Ihr Nervensystem spürbar, was die Wahrnehmungsverzerrungen bei Derealisation lindern kann.
Ja, in den meisten Fällen lässt sich Derealisation ohne Medikamente überwinden. Da es sich um eine Schutzreaktion Ihres Gehirns handelt und nicht um eine Krankheit im eigentlichen Sinne, sind die natürlichsten und wirksamsten Ansätze jene, die Ihr Nervensystem beruhigen und Ihr Gehirn wieder in seinen normalen Verarbeitungsmodus zurückführen.
Die im Artikel beschriebenen Entspannungsmethoden und mentalen Übungen haben sich als sehr wirksam erwiesen. Besonders die neuen Angst-Stopp-Techniken der Bernhardt-Methode ermöglicht vielen Betroffenen eine erstaunlich schnelle Unterbrechung der Derealisation im Alltag. Der Schlüssel liegt in der Kombination aus Akzeptanz (die Symptome nicht zu bekämpfen) und sanfter Neuprogrammierung durch wiederholte positive Erfahrungen. Dies führt zu dauerhafter Besserung, weil es direkt an der neurologischen Basis des Problems ansetzt.
Bei begleitenden Angstsymptomen oder Depressionen können Medikamente manchmal hilfreich sein, aber für die Derealisation selbst ist der körpereigene Heilungsprozess, unterstützt durch die richtigen Techniken, größtenteils der effektivste Weg.
Der wichtigste Unterschied: Bei Derealisation wissen Sie stets, dass etwas mit Ihrer Wahrnehmung nicht stimmt. Sie denken: „Die Welt sieht seltsam aus“ – nicht: „Die Welt IST seltsam.“ Dieser erhaltene Realitätsbezug ist der entscheidende Unterschied zu psychotischen Zuständen.
Typisch für Derealisation ist auch, dass Sie sich Sorgen über Ihre Symptome machen – diese Selbstreflexion und Sorge ist bei schwerwiegenderen Zuständen oft nicht vorhanden.
Warnsignale, die für etwas Ernsteres sprechen könnten:
- Sie hören Stimmen oder sehen Dinge, die nicht da sind
- Sie haben Wahnvorstellungen (feste, unkorrigierbar falsche Überzeugungen)
- Sie können nicht mehr zwischen Realität und Vorstellung unterscheiden
Bei diesen Anzeichen sollten Sie unbedingt professionelle Hilfe suchen.
Ja, intensive Bildschirmnutzung kann tatsächlich zur Entstehung oder Verschlimmerung von Derealisation beitragen – und zwar auf mehreren Wegen:
Erstens ermüdet längeres Starren auf Bildschirme Ihr visuelles System. Die ständige Fokussierung auf eine gleichbleibende Entfernung, das flackernde Licht und die schnellen Bewegungen können Ihre Augen und die verarbeitenden Hirnareale überfordern.
Zweitens verändert digitales Leben unsere Wahrnehmungsgewohnheiten. Wir verbringen viel Zeit in einer „flachen“, zweidimensionalen Welt statt in der dreidimensionalen Realität – unser Gehirn passt sich diesen veränderten Anforderungen an.
Drittens kann übermäßiger Medienkonsum zu einer Art „digitalem Jetlag“ führen – Ihr Gehirn schaltet ständig zwischen realer und digitaler Welt um, was die natürlichen Verarbeitungsprozesse stören kann.
Eine „digitale Entgiftung“ von 48 Stunden kann oft erstaunliche Verbesserungen bei Derealisation-Symptomen bringen.
Disclaimer / Haftungsausschluss
Dieser Artikel soll Sie umfassend informieren und Ihnen neue Perspektiven eröffnen. Er ergänzt, aber ersetzt nicht die individuelle Diagnose oder Behandlung durch medizinisches Fachpersonal. Bei gesundheitlichen Fragen: Holen Sie sich professionelle Hilfe – und nutzen Sie unsere Tipps als kraftvolle Unterstützung.
Wissenschaftliche Studien zum Thema
- Gysi, J. (2024). Depersonalisations-Derealisationsstörung – Chronische Abspaltung von Gefühlen und Körper. Vortrag, 17. Grazer Psychiatrisch-Psychosomatische Tagung, 19.01.2024. Zusammenfassung: Übersicht zu Symptomatik, Diagnostik und Therapie der Depersonalisations-Derealisationsstörung mit Bezug auf ICD-11 und aktuelle Forschungsergebnisse. Enthält Hinweise auf systematische Übersichtsarbeiten und klinische Erfahrungen. https://www.lkh-graz2.at/fileadmin/media/lkh-graz2/Dokumente/Veranstaltungen/Psychiatrisch-Psychosomatische_Tagung/2024_01_19-Vortrag-DrGysi.pdf
- Michal, M., Adler, J., & Reiner, I. (2010). Screening nach Depersonalisation-Derealisation mittels zweier Kurzitems der Cambridge Depersonalisation Scale (CDS-2). Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 60(5), 186–192. Zusammenfassung: Peer-Review-Studie zur Validierung eines Kurzscreenings für Depersonalisation/Derealisation anhand der CDS-2, mit Ergebnissen zur Sensitivität und Spezifität. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/abstract/10.1055/s-0029-1224098
- Schmahl, C., Michal, M., & Niedtfeld, I. (2024). Die Depersonalisations-Derealisationsstörung. Der Nervenarzt, 95(7), 662–669. Zusammenfassung: Übersichtsartikel zu Symptomen, Diagnostik, Epidemiologie und Therapie der Depersonalisations-Derealisationsstörung mit aktuellen klinischen Empfehlungen. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-2078-1035
- Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). (2014). S2k-Leitlinie: Diagnostik und Behandlung des Depersonalisations-Derealisationssyndroms (AWMF-Registernummer 051-030). Zusammenfassung: Offizielle Leitlinie mit Empfehlungen zu Diagnostik, Differenzialdiagnose und Therapie der Störung, inkl. Bezug zu DSM-5 und ICD-10/11. https://register.awmf.org/assets/guidelines/051-030l_S2k_Depersonalisations_Derealisationssyndrom-abgelaufen_2014-09.pdf
- Simeon, D., & Knutelska, M. (2023). The Multidimensional Inventory of Dissociation (MID) in Depersonalization Disorder: General Findings with a clinical emphasis on memory and identity disturbances. Journal of Trauma & Dissociation, 24(2), 185–196. Zusammenfassung: Peer-Review-Studie zur Anwendung und Aussagekraft des MID bei Patienten mit Depersonalisationsstörung, Fokus auf Gedächtnis und Identitätsaspekte. https://doi.org/10.1080/15299732.2022.2119634