Ohne Wartezeit auf Therapie

Nahaufnahme einer besorgten Frau mit angespannten Gesichtszuegen, die Anzeichen von Hypervigilanz zeigt. Sie blickt nachdenklich zur Seite.

Hypervigilanz verstehen und überwinden: Den Weg zur inneren Ruhe finden

Kennen Sie das? Ein permanent laufendes Gedankenkarussell, der ständige Drang, Ihre Umgebung nach möglichen Gefahren abzusuchen, und ein Körper, der selbst in entspannten Momenten nicht zur Ruhe kommt. Diese übersteigerte Wachsamkeit nennen wir in der Psychotherapie Hypervigilanz – ein Zustand, in dem Ihr Nervensystem auf Dauerhochalarm geschaltet ist.

In meiner täglichen Arbeit mit Menschen, die unter Angstzuständen leiden, begegne ich diesem Phänomen regelmäßig. Das Gute ist: Unser Gehirn ist formbar, und mit den richtigen Methoden können wir diese festgefahrenen Alarmpfade umleiten – hin zu mehr Gelassenheit und innerer Sicherheit.

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Was genau bedeutet Hypervigilanz?

Hypervigilanz beschreibt einen Zustand erhöhter sensorischer Empfindlichkeit und übersteigerter Wachsamkeit gegenüber Ihrer Umgebung. Ihr Gehirn befindet sich dabei in einem ständigen „Alarmmodus“ – wie ein übervorsichtiger Wachmann, der bei jedem kleinsten Geräusch aufschreckt.

Diese übersteigerte Wachsamkeit ist eigentlich ein Schutzmechanismus Ihres Körpers, der aber über das Ziel hinausschießt. Statt Sie zu schützen, hält er Sie in einem Zustand ständiger Anspannung. Oft entsteht Hypervigilanz als Reaktion auf Stress, Angststörungen oder traumatische Erlebnisse, kann aber auch ohne erkennbare Ursache auftreten.

Mann mit ernstem Blick und zusammengezogenen Augenbrauen, der hypervigilant ist. Sein Gesichtsausdruck ist aufmerksam und besorgt.

Typische Symptome: Sind Sie hypervigilant?

Hypervigilanz zeigt sich auf vielfältige Weise und beeinflusst Körper, Geist und Emotionen gleichermaßen. Vielleicht erkennen Sie sich in einigen dieser Anzeichen wieder:

Körperliche Symptome der Hypervigilanz

  • Ständige körperliche Anspannung: Ihr Körper fühlt sich an, als stünde er permanent unter Strom. Viele meiner Patienten beschreiben es als eine Art „inneres Vibrieren“, das nie ganz zur Ruhe kommt.
  • Muskelverspannungen: Besonders im Nacken-, Schulter- und Rückenbereich verhärten sich die Muskeln. Diese Verspannungen können zu hartnäckigen Schmerzen führen, die auf herkömmliche Massagen kaum ansprechen.
  • Übermäßiges Schwitzen: Als Teil der Kampf-oder-Flucht-Reaktion bereitet der Körper sich ständig auf körperliche Aktivität vor – auch wenn diese gar nicht nötig ist.
  • Herzrasen und Herzklopfen: Selbst bei kleinen Überraschungen fängt Ihr Herz an zu rasen. Diese Herzreaktionen können beängstigend sein und manchmal sogar Panikgefühle auslösen.
  • Magenprobleme: Das Nervensystem und Ihr Verdauungstrakt stehen in enger Verbindung. Bei dauerhafter Anspannung kann es zu Reizdarmsymptomen, Magenschmerzen oder Appetitlosigkeit kommen.
  • Erhöhte Schreckhaftigkeit: Ein fallendes Buch, eine zuschlagende Tür – und Sie zucken heftig zusammen. Ihr Körper reagiert auf harmlose Reize, als wären sie lebensbedrohlich.
  • Schlafstörungen: Einschlafprobleme, nächtliches Aufwachen oder unruhiger Schlaf sind typisch. Ihr Gehirn „erlaubt“ Ihnen nicht, vollständig abzuschalten, da es ständig nach Gefahren Ausschau hält.

Mentale und kognitive Auswirkungen

  • Ständiges Gedankenkreisen: Ihr Geist ist rastlos auf der Suche nach möglichen Bedrohungen, analysiert vergangene Situationen oder plant für zukünftige „Was-wäre-wenn“-Szenarien.
  • Konzentrationsschwierigkeiten: Wenn Ihr Gehirn ständig einen Teil seiner Ressourcen für das „Gefahrenradar“ abzweigt, bleibt weniger Kapazität für fokussierte Aufmerksamkeit.
  • Entscheidungsschwäche: Selbst einfache Entscheidungen können überwältigend werden, weil Ihr Gehirn jede Option als potenzielle Gefahr analysiert.
  • Tunnelblick: In Situationen, die als bedrohlich wahrgenommen werden, verengt sich Ihre Wahrnehmung. Sie nehmen primär mögliche Gefahrensignale wahr und übersehen positive oder neutrale Aspekte.
  • Überhöhte Risikoeinschätzung: Die Wahrscheinlichkeit negativer Ereignisse wird systematisch überschätzt, während die eigene Bewältigungsfähigkeit unterschätzt wird.

Wahrnehmungs- und Sinnesveränderungen

  • Überempfindlichkeit gegenüber Reizen: Lärm empfinden Sie als unerträglich laut, Licht als zu grell, Gerüche als zu intensiv. Das Gehirn verstärkt alle Sinneseindrücke, um keine potenzielle Gefahr zu übersehen.
  • Ständiges Scannen der Umgebung: Ihre Augen rasten nie, sondern überprüfen kontinuierlich den Raum auf Ungewöhnliches oder Bedrohliches. In Restaurants sitzen Sie mit dem Rücken zur Wand, um den ganzen Raum überblicken zu können.
  • Erhöhte Sensibilität für Körperempfindungen: Normale körperliche Vorgänge wie Herzschlag oder Verdauungsgeräusche werden überbewertet und als potenziell gefährlich eingestuft.
  • Zeitverzerrung: Bedrohliche Situationen scheinen sich in Zeitlupe abzuspielen, während angenehme Momente wie im Flug vergehen.

Emotionale und soziale Folgen

  • Emotionale Überreaktionen: Kleine Frustrationen können unverhältnismäßig starke emotionale Reaktionen auslösen – von plötzlicher Wut bis hin zu Tränenausbrüchen.
  • Soziale Erschöpfung: Menschenmengen oder längere soziale Interaktionen können extrem ermüdend sein, da jede Person und jede soziale Dynamik vom Gehirn als potenzielle Bedrohung gescannt wird.
  • Vermeidungsverhalten: Mit der Zeit beginnen Sie vielleicht, Situationen zu meiden, die besonders viele Reize mit sich bringen oder in denen Sie sich ausgeliefert fühlen.
  • Schamgefühle: Viele Menschen mit Hypervigilanz schämen sich für ihre Reaktionen, die sie selbst als „übertrieben“ empfinden, und versuchen, diese zu verbergen.

Diese Symptome können einzeln oder in Kombination auftreten und variieren in ihrer Intensität. Wichtig zu verstehen: Sie sind keine Einbildung und kein Zeichen von Schwäche, sondern reale neurobiologische Reaktionen Ihres Körpers.

Wohnung steht in Flammen. Flammen schlagen aus dem Dach, begleitet von dunklem Rauch. Gefahr und Angst sind spuerbar.

Mögliche Ursachen: Warum ist Ihr Nervensystem hypervigilant?

Die Wurzeln der Hypervigilanz sind vielfältig und komplex. Um zu verstehen, warum manche Menschen in diesem Zustand erhöhter Wachsamkeit leben, müssen wir tiefer in die verschiedenen Auslöser blicken:

Traumatische Erfahrungen und PTBS

Eines der bekanntesten Auslöser für Hypervigilanz sind traumatische Erlebnisse. Nach einem oder mehreren traumatischen Ereignissen – sei es ein Unfall, Gewalt, Missbrauch oder andere lebensbedrohliche Situationen – programmiert sich das Gehirn neu, um ähnliche Bedrohungen frühzeitig zu erkennen und zu vermeiden.

Diese erhöhte Alarmbereitschaft ist zunächst eine sinnvolle Anpassung: Wer sich zum Beispiel in Krisengebieten aufhält und bereits eine gefährliche Situation überlebt hat, profitiert zweifelsohne von erhöhter Wachsamkeit. Das Problem entsteht, wenn dieser Zustand zum Dauermodus wird, selbst wenn man sich in sicheren Gefilden befndet. Bei einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) bleibt das Gehirn in diesem Alarmmodus gefangen, auch Jahre nach dem eigentlichen Trauma.

Besonders tückisch: Manchmal reichen schon kleine Hinweisreize (sogenannte „Trigger“), die in irgendeiner Weise an das Trauma erinnern – ein bestimmter Geruch, ein Geräusch, ein visueller Eindruck – um das gesamte Alarmsystem zu aktivieren.

Frühe Prägung: Die Rolle der Kindheit

Unsere frühesten Lebensjahre prägen unser Nervensystem grundlegend. Kinder, die in einer bedrohlichen oder unberechenbaren Umgebung aufwachsen, entwickeln oft ein hypervigilantes Nervensystem als Überlebensstrategie:

  • Unberechenbare Bezugspersonen: Wenn Eltern oder andere zentrale Betreuungspersonen unvorhersehbar reagieren – mal liebevoll, mal wütend, ohne erkennbares Muster – lernt das kindliche Gehirn, ständig nach Anzeichen für Stimmungsschwankungen zu suchen.
  • Emotionale Vernachlässigung: Kinder, deren emotionale Bedürfnisse chronisch unerfüllt bleiben, entwickeln ein feines Gespür für kleinste Anzeichen von Zuneigung und Aufmerksamkeit, misstrauen diesen aber auf Grund vieler schlechter Erfahrungen.
  • Chronische Bedrohung: Aufwachsen in einer Umgebung mit ständigen Konflikten, Gewalt oder anderen Bedrohungen trainiert das Gehirn auf ständige Gefahrensuche.

Das Problem: Was in der Kindheit als Anpassung begann, kann sich im Erwachsenenalter als hinderliches Muster fortsetzen, lange nachdem die ursprüngliche Bedrohung nicht mehr existiert.

Angststörungen und das überaktive Alarmsystem

Hypervigilanz ist ein Kernmerkmal vieler Angststörungen, wobei Ursache und Wirkung sich gegenseitig verstärken können:

  • Generalisierte Angststörung: Das Gehirn ist ständig auf der Suche nach potenziellen Problemen und Gefahren in allen Lebensbereichen.
  • Panikstörung: Nach einer oder mehreren Panikattacken wird der Körper überempfindlich für kleinste innere Veränderungen, die eine weitere Attacke ankündigen könnten.
  • Soziale Angststörung: Hier fokussiert sich die Hypervigilanz besonders auf soziale Hinweisreize und mögliche Anzeichen von Ablehnung oder negativer Bewertung.
  • Zwangsstörungen: Diese entwickeln sich oft aus nicht erkannten oder falsch behandelten Angststörungen. Das Gehirn wechselt dann vom „Ich-kann-nichts-Tun-Modus“ in den „Ich-muss-irgendwas-dagegen-tun-Modus“. Die ständige Wachsamkeit richtet sich dann auf spezifische, befürchtete Gefahren wie z.B. die Kontamination durch Viren und Bakterien. Oder sie äußert sich in Kontroll- und Ordnungszwängen. 

Interessant ist, dass bei Angststörungen oft ein Teufelskreis entsteht: Die Hypervigilanz verstärkt die Angstsymptome, und die verstärkten Angstsymptome intensivieren wiederum die Hypervigilanz.

Neurologische und physiologische Faktoren

Es gibt auch körperliche Faktoren, die zur Entwicklung einer Hypervigilanz beitragen können:

  • Genetische Prädisposition: Manche Menschen haben von Geburt an ein sensibler reagierendes Nervensystem. Diese „biologische Empfindsamkeit“ kann eine Grundlage für spätere Hypervigilanz bilden.
  • Dysregulation des autonomen Nervensystems: Unser Nervensystem besteht aus einem aktivierenden Teil (Sympathikus) und einem beruhigenden Teil (Parasympathikus). Bei manchen Menschen gerät dieses feine Gleichgewicht aus der Balance.
  • Hormonelle Faktoren: Chronisch erhöhte Stresshormonspiegel (besonders Cortisol) können langfristig die Stressreaktion des Körpers verändern und zu einem Dauerzustand der Alarmbereitschaft führen.
  • Schlafmangel: Unzureichender oder nicht erholsamer Schlaf verstärkt die Tendenz des Gehirns, Reize als bedrohlich einzustufen – ein weiterer möglicher Teufelskreis.
Ein Mann sitzt vor einer Frau auf einer Couch und versucht vergeblich sie zu troesten. Die Szene zeigt moegliche Ursachen für Hypervigilanz.

Chronischer Stress und seine Folgen

Unser Körper ist für kurze, intensive Stressperioden ausgelegt, nicht für dauerhaften Stress. Bei anhaltendem Stress ohne ausreichende Erholungsphasen kann sich das Nervensystem im Alarmmodus „festfahren“:

  • Beruflicher Stress: Ständiger Druck, lange Arbeitszeiten, mangelnde Kontrolle oder toxische Arbeitsumgebungen können das Nervensystem überfordern.
  • Beziehungsstress: Anhaltende Konflikte, emotionaler Missbrauch oder das Leben in dysfunktionalen Beziehungen hält den Körper in ständiger Alarmbereitschaft.
  • Existenzielle Unsicherheit: Finanzielle Sorgen, Wohnungsunsicherheit oder andere grundlegende Bedrohungen aktivieren tief verwurzelte Überlebensmechanismen.
  • Chronische Krankheit oder Schmerz: Lang andauernde gesundheitliche Probleme oder Schmerzzustände signalisieren dem Gehirn eine anhaltende Bedrohung der körperlichen Integrität.

Sensitivität als persönlichkeitsbezogene Grundlage

Etwa 15-20% der Menschen verfügen über eine angeborene erhöhte Wahrnehmungssensitivität – oft als „Hochsensibilität“ bezeichnet. Diese Personen verarbeiten Sinneseindrücke und emotionale Reize intensiver und tiefgründiger als der Durchschnitt:

  • Sie nehmen mehr Details und feinere Nuancen wahr
  • Verarbeiten Informationen gründlicher und vielschichtiger
  • Reagieren emotionaler auf positive wie negative Erlebnisse
  • Ermüden schneller in reizintensiven Umgebungen

Diese besondere Wahrnehmungsverarbeitung ist an sich weder schlecht noch krankhaft, denn hochsensible Menschen empfinden ja alles intensiver, sowohl das Schlechte als auch das Gute. Unter ungünstigen Umständen oder bei fehlender Selbstfürsorge kann Hochsensibilität jedoch in eine Hypervigilanz übergehen.

Wenn keine offensichtliche Ursache erkennbar ist

Manchmal entwickelt sich Hypervigilanz scheinbar ohne klaren Auslöser. In solchen Fällen kann es sich um:

Wichtig zu verstehen: Unabhängig davon, wodurch Ihre Hypervigilanz entstanden ist – Sie können lernen, Ihr Nervensystem zu beruhigen und neue, gesündere Reaktionsmuster zu entwickeln. Nur beim letzten Punkt werden Sie nicht umhinkommen, einen Endokrinologen aufzusuchen, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Selbsttest: Wie stark ist Ihre innere Alarmbereitschaft?

Beantworten Sie für sich die folgenden Fragen mit Ja oder Nein:

  1. Fühlen Sie sich in vielen alltäglichen Situationen angespannt, auch wenn objektiv kein Grund zur Sorge besteht?
  2. Zucken Sie bei unerwarteten Geräuschen stark zusammen?
  3. Fällt es Ihnen schwer, sich in öffentlichen Räumen mit dem Rücken zur Tür zu setzen?
  4. Ertappen Sie sich dabei, wie Sie ständig Ihre Umgebung nach möglichen Gefahren absuchen?
  5. Haben Sie oft das Gefühl, auf der Hut sein zu müssen?
  6. Sind Sie empfindlicher gegenüber Lärm, Licht oder anderen Reizen als die meisten Menschen in Ihrem Umfeld?
  7. Fällt es Ihnen schwer, abzuschalten und sich vollständig zu entspannen?

Wenn Sie mehrere dieser Fragen mit „Ja“ beantwortet haben, könnte Hypervigilanz bei Ihnen eine Rolle spielen. Die gute Nachricht: Sie können lernen, Ihr Nervensystem zu beruhigen. Und ich verrate Ihnen jetzt, wie das geht:

Ein Mann blickt laechelnd in die helle Sonne vor einem blauen Himmel und Bergen. Seine Haltung strahlt Genuss und Optimismus aus.

Wege aus der Hypervigilanz: Wie Sie Ihr Nervensystem beruhigen können

Bevor Sie etwas verändern können, ist es wichtig zu verstehen: Diese ständige Wachsamkeit ist eine körperliche Reaktion, kein persönliches Versagen. Ihr Körper versucht, Sie zu schützen – auch wenn er dabei über das Ziel hinausschießt.

Nehmen Sie Ihre Anspannung zunächst einfach wahr, ohne sie sofort bekämpfen zu wollen. Sagen Sie innerlich: „Ich bemerke, dass ich gerade sehr angespannt bin. Das ist in Ordnung. Mein Körper reagiert so, weil er mich schützen will.“

Diese akzeptierende Haltung ist der erste Schritt, um den Teufelskreis aus Anspannung und Angst vor der Anspannung zu durchbrechen.

Beunruhigende Glaubenssätze erkennen und verändern

Die vermutlich beste und schnellste Möglichkeit, innere Unruhe dauerhaft zu überwinden, ist die Arbeit an den eigenen Glaubenssätzen. Denn nichts macht uns auf Dauer hypervigilanter, als ein permanenter innerer Dialog, der uns zur Vorsicht und Wachsamkeit mahnt. Die amerikanische Bestsellerautorin Byron Katie hat in ihrem Buch „The Work“ eine hochwirksame Methode vorgestellt, mit der sich aufwühlende Glaubenssätze so umgestalten lassen, dass sie beruhigend und ermutigend wirken. Wer näher wissen möchte, wie „The Work“ funktioniert, dem empfehle ich meinen Blogartikel „Negative Glaubenssätze erkennen und verändern – so geht es leicht!“

Atemübung zur Beruhigung bei Hypervigilanz

Eine andere Methode, um ein überaktives Nervensystem zu beruhigen, ist die bewusste Atemsteuerung. Probieren Sie diese einfache Übung aus:

  1. Atmen Sie sanft durch die Nase ein und zählen Sie dabei langsam bis 4.
  2. Halten Sie den Atem kurz an (zählen Sie bis 2).
  3. Atmen Sie langsam und vollständig durch den Mund aus (zählen Sie dabei bis 6).
  4. Wiederholen Sie dies 5–10 Mal und spüren Sie, wie Ihr Körper ruhiger wird.

Diese Technik aktiviert Ihren Vagusnerv – den wichtigsten Nerv für Entspannung und Erholung in Ihrem Körper. Die verlängerte Ausatmung sendet ein klares Signal an Ihr Gehirn: „Alles ist sicher, du kannst dich entspannen.“

Reizmanagement im Alltag: Weniger Input, mehr Ruhe

Bei Hypervigilanz kann Ihr Nervensystem mit Reizen schnell überlastet werden. Planen Sie daher bewusst „reizarme Zeiten“ in Ihren Alltag ein:

  • Tragen Sie Noise-Cancelling-Kopfhörer in lauten Umgebungen.
  • Schaffen Sie sich eine ruhige „Auszeit-Ecke“ in Ihrer Wohnung.
  • Reduzieren Sie Medienkonsum, besonders vor dem Schlafengehen.
  • Lernen Sie, höflich aber bestimmt Grenzen zu setzen („Nein“ zu sagen).
  • Planen Sie nach anstrengenden Terminen bewusst Erholungsphasen ein.

Sicherheit im Hier und Jetzt verankern: Die 5-4-3-2-1 Grounding-Methode

Wenn die Anspannung überhandnimmt, hilft diese einfache Übung, um sich wieder im sicheren Hier und Jetzt zu verankern:

  • 5 Dinge SEHEN: Schauen Sie sich bewusst um und benennen Sie fünf Dinge, die Sie sehen können.
  • 4 Dinge FÜHLEN: Spüren Sie vier Dinge, die Sie berühren können (z.B. Ihre Kleidung auf der Haut, den Boden unter Ihren Füßen).
  • 3 Dinge HÖREN: Konzentrieren Sie sich auf drei Geräusche in Ihrer Umgebung.
  • 2 Dinge RIECHEN: Nehmen Sie zwei Gerüche wahr (oder erinnern Sie sich an zwei angenehme Düfte).
  • 1 Ding SCHMECKEN: Schmecken Sie bewusst etwas (oder stellen Sie sich Ihren Lieblingsgeschmack vor).

Diese Übung lenkt Ihre Aufmerksamkeit auf die gegenwärtigen Sinneseindrücke und unterbricht so das ständige Scannen nach Gefahren.

Langfristige Strategien gegen Hypervigilanz: Innere Ruhe ist erlernbar

Um Ihr Nervensystem langfristig zu beruhigen, braucht es regelmäßiges Entspannungstraining. So lernt ihre Psyche zur Ruhe zu kommen:

  • Praktizieren Sie täglich 10-15 Minuten Achtsamkeitsübungen oder Meditation.
  • Sanfte Bewegungsformen wie Yoga oder Tai-Chi können besonders hilfreich sein.
  • Sorgen Sie für ausreichend Schlaf und eine regelmäßige Schlafenszeit.
  • Moderate Bewegung in der Natur (Spaziergänge im Wald, Gartenarbeit) hat einen beruhigenden Effekt auf das Nervensystem.

Mentale Muster verändern: Die Kraft des Gehirns nutzen

In meiner langjährigen Arbeit als Leiter des Instituts für moderne Psychotherapie in Berlin erlebe ich immer wieder, wie wirksam es sein kann, die neuronalen Pfade zu verändern, die für die übersteigerte Wachsamkeit verantwortlich sind. Unser Gehirn ist formbar – es kann umlernen und neue, entspanntere Reaktionsmuster entwickeln. Im Rahmen der von uns entwickelten Bernhardt-Methode gibt es mit der 10-Satz-Methode ein effektives Selbsthilfe-Werkzeug, mit dem vigilante Menschen schnell deutlich mehr Gelassenheit und Entspannung in Ihr Leben bringen können. Vorausgesetzt natürlich, Sie schaffen es, sich täglich 20 Minuten Zeit für diese besondere Form des Mentaltrainings zu nehmen.

Wann professionelle Hilfe bei Hypervigilanz sinnvoll ist

Wenn Ihre Hypervigilanz einen starken Leidensdruck verursacht, Ihren Alltag beeinträchtigt oder Sie den Verdacht haben, dass ein Trauma oder eine Angststörung dahintersteckt, zögern Sie nicht, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Ein erfahrener Therapeut kann Ihnen helfen, die Ursachen Ihrer übersteigerten Wachsamkeit zu verstehen und individuelle Strategien zur Beruhigung Ihres Nervensystems zu entwickeln.

Eine laechelnde, selbstbewusste Frau sitzt mit verschraenkten Armen an ihrem Schreibtisch im Buero. Sie strahlt Professionalitaet und Erfolg aus.

Zusammenfassung: Ihr Weg zu mehr innerer Ruhe bei Hypervigilanz

Hypervigilanz – diese ständige innere Alarmbereitschaft – ist eine verständliche Reaktion Ihres Körpers auf tatsächliche oder wahrgenommene Bedrohungen. Sie ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein übereifrig arbeitender Schutzmechanismus Ihres Unterbewusstseins.

Mit den richtigen Techniken können Sie lernen, Ihrem Nervensystem zu signalisieren, dass es in Sicherheit ist und sich entspannen darf. Neurowissenschaftlich basierte Selbsthilfe-Techniken wie die Bernhardt-Methode, bewusstes Reizmanagement, Grounding-Techniken und positive Glaubenssatz-Arbeit (z.B. mit „The Work“) sind wirksame Werkzeuge auf diesem Weg.

Beginnen Sie mit kleinen Schritten und haben Sie Geduld mit sich selbst. Jede noch so kleine Übung hilft Ihrem Nervensystem, neue, entspanntere Wege zu bahnen. Sie müssen nicht länger auf Hochspannung leben – innere Ruhe ist möglich, und der erste Schritt liegt direkt vor Ihnen.

Disclaimer / Haftungsausschluss

Dieser Artikel soll Sie umfassend informieren und Ihnen neue Perspektiven eröffnen. Er ergänzt, aber ersetzt nicht die individuelle Diagnose oder Behandlung durch medizinisches Fachpersonal. Bei gesundheitlichen Fragen: Holen Sie sich professionelle Hilfe – und nutzen Sie unsere Tipps als kraftvolle Unterstützung.

  • Wiggs, CL et al. (1996): Hypervigilance in patients with obsessive-compulsive disorder. In: Anxiety: 123-9.
  • Bernhardt, K. (2022): Zwänge und Zwangsgedanken loswerden – Zwangsstörungen ohne Medikamente und Konfrontation schnell und dauerhaft überwinden, Ariston, München