Ohne Wartezeit auf Therapie

Soziale Angststörung: 2 Kliniken, 3 Therapeuten und was letztlich half

Als bei mir die Diagnose soziale Phobie gestellt wurde, war ich 27. Aber ehrlich gesagt wusste ich schon viel länger, dass mit mir was nicht stimmte. Ich hatte immer das Gefühl, dass alle anderen Menschen irgendwie besser klarkommen als ich. Besonders in Gruppen oder wenn ich mit fremden Leuten reden musste, raste mein Herz wie verrückt. Oft wurde mir so schwindelig, dass ich dachte, ich kippe gleich um.

Mein erster Klinikaufenthalt war mit viel Hoffnung verbunden. Ich dachte, endlich hilft mir jemand. Doch dann stecken Sie mich ohne Vorwarnung in eine Gruppentherapie mit 7 anderen Leuten. Und ich war die einzige mit sozialer Phobie! Die anderen hatten alle möglichen Angststörungen –Panikattacken im Supermarkt, Angst vorm Kotzen, Hypochonder und so weiter. Jeden Mittwoch und Freitag saßen wir im Kreis und mussten über unsere Ängste sprechen. Ich kann gar nicht beschreiben, wie schrecklich das für mich war. Während die anderen ganz locker erzählten, saß ich da und zählte die Leute vor mir. „Noch vier… noch drei… noch zwei …“ Mein Herz hämmerte so laut, dass ich dachte, alle können es hören. Meine Hände wurden schweißnass und zitterten. Und je näher mein „Auftritt“ kam, desto mehr wollte ich einfach aufspringen und wegrennen.

Als ich dann tatsächlich dran war, brachte ich kaum einen geraden Satz raus. Ich stotterte, wurde rot wie eine Tomate und kriegte kaum Luft. Und das Schlimmste? Die Therapeutin meinte nur: „Sehen Sie, diese Situation ist doch eine super Übung für Sie!“ Na toll, danke auch.

Nach der Klinik hab ich’s mit ambulanter Therapie versucht. Drei verschiedene Therapeuten in fünf Jahren. Der erste war so ein älterer Typ, der ganz viel von Kindheitserlebnissen redete. Jede Woche sollte ich von meiner Kindheit erzählen. Aber ehrlich, ich hatte keine traumatische Kindheit! Meine Eltern waren okay. Klar, meine Mutter ist auch eher schüchtern, aber sonst war alles normal. Nach einem Jahr hatte ich das Gefühl, dass wir uns im Kreis drehen.

Die zweite Therapeutin war nett, aber ihre Methode war komisch. Sie meinte, ich soll mich absichtlich in unangenehme Situationen begeben – also genau in die Situationen, vor denen ich Angst hatte. „Konfrontationstherapie“ nannte sie das. Sie schickte mich in überfüllte Cafés, wo ich den Kellner nach Extrawünschen fragen sollte. Oder ich sollte fremde Leute auf der Straße nach der Uhrzeit fragen. Ich hab’s versucht, echt. Und es gab auch Tage, da hatte ich echt das Gefühl, ich mache damit Fortschritte. Doch dann kamen wieder so Tage, da wäre ich am liebsten heulend nach Hause gerannt, so elend war mir zu mute.

Der dritte Therapeut war so einer, der dauernd lächelte und meinte: „Das wird schon!“ Er gab mir Entspannungsübungen und sagte, ich soll positiv denken. Als ob das so einfach wäre! Die dreimal, die ich später wirklich in einer Gruppe sitzen musste und schweißnass vor Angst war, haben mir seine Atemübungen jedenfalls nicht geholfen.

Fünf Jahre lang hab ich alles probiert, um diese Angst loszuwerden. Doch nichts half dauerhaft. Dann sprang mich ein Buchtitel an. Nicht zum ersten Mal, sondern bestimmt zum 20sten Mal. Ich bin eine Leseratte und häufig in einer kleinen Buchhandlung bei mir um die Ecke. An der Bestsellerwand stand gefühlt über zwei Jahre ein Buch mit dem Titel „Panikattacken und andere Angststörungen loswerden“. Andere Titel kamen und gingen, doch dieses Buch verschwand einfach nicht. Fast so, als würde es auf mich herabblicken und sagen, andere schaffen das auch, jetzt stell Dich nicht so an. Und ich dachte jedes Mal: Da steht auch nichts Neues drin. Habe ich alles schon versucht. Irgendwann nahm ich es in die Hand und blätterte es ein wenig durch, bis ich an einem Spruch hängen blieb, der sich sofort in meine Festplatte einbrannte. „Du musst nicht gesund werden, um das Leben Deiner Träume zu leben. Du darfst endlich anfangen, das Leben Deiner Träume zu leben, damit Du gesund werden kannst.“

Der Satz ließ mich nicht mehr los. Ich wünschte mir schon seit Jahren eine Beziehung, doch war viel zu schüchtern, um auch nur mehr als ein paar Sätze mit einem Jungen zu wechseln. Dann kam mein zweiter Klinikaufenthalt. Ich wollte eigentlich gar nicht hin, aber mein Arzt meinte, ich sollte es nochmal versuchen. Eine andere Klinik, ein anderes Konzept.

Und da passierte etwas, was ich nie erwartet hätte. In der Cafeteria stand ich mit meinem Tablett da und wusste nicht, wo ich mich hinsetzen sollte – mein klassischer Albtraum. Doch ein Typ, der alleine an einem Tisch saß, nickte mir freundlich zu.

„Ist hier noch frei?“, fragte ich, während mein Herz so laut pochte, dass ich mir sicher war, jeder würde es hören. Und dass der Typ richtig gut aussah, machte die Sache keineswegs besser.

„Klar“, sagte er. „Bin froh, wenn sich nur eine zu mir setzt und nicht gleich eine ganze Gruppe. Deswegen bin ich nämlich hier, soziale Phobie.“ Er hob entschuldigend die Schultern. „Weißt Du, je mehr Menschen mich ansehen, umso nervöser werde ich. So eins zu eins kriege ich aber noch ganz gut hin. Ich bin übrigens Tom.“

Ich dachte, ich höre nicht richtig. Er sprach es einfach so aus, genau das, was ich fühlte! Wir kamen ins Gespräch, und es stellte sich heraus, dass er schon fast so lange versuchte, seine sozialen Ängste loszuwerden, wie ich. Doch das verrückteste war: Mit ihm konnte ich reden. Ohne Herzrasen, ohne Schweißausbrüche. Weil er es verstand. Er wusste genau, wie es sich anfühlt, wenn man vor Angst kaum sprechen kann, wenn man sich ständig Sorgen macht, was andere denken könnten. Bei ihm musste ich nichts erklären oder mich rechtfertigen.

In den nächsten Wochen verbrachten Tom und ich viel Zeit zusammen. Wir redeten über alles – unsere Ängste, natürlich, aber auch über Filme, Musik, unsere Träume und sogar über das Buch, dessen Satz mich nicht mehr losließ. Er war der erste Mensch, bei dem ich das Gefühl hatte, ich kann einfach ich selbst sein.

Irgendwann in der dritten Woche merkten wir beide, dass da mehr war als nur Freundschaft. Wir verliebten uns. Es klingt kitschig, aber es war, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Plötzlich machte es mir nichts mehr aus, mit ihm zusammen in der Klinik-Kantine zu sitzen. Sogar bei den Gruppentherapien fühlte ich mich sicherer, weil er dabei war.

Das Verrückteste war: Je wohler ich mich mit Tom fühlte, desto weniger Angst hatte ich auch in anderen Situationen. Es war, als hätte sich in meinem Kopf etwas verändert. Als hätte ich endlich verstanden: Es gibt Menschen, die mich so akzeptieren, wie ich bin – mit all meinen Ängsten und Unsicherheiten.

Natürlich war nicht von heute auf morgen alles weg. Aber ich merkte, wie Situationen, die mir früher schlaflose Nächte bereitet hatten, plötzlich machbar waren. Ich konnte beim Bäcker bestellen, ohne vorher zu überlegen, was ich sagen würde. Ich konnte im Kurs eine Frage stellen, ohne dass meine Stimme zitterte.

Heute, drei Jahre später, sind Tom und ich immer noch zusammen. Meine soziale Phobie ist nicht komplett verschwunden, aber sie kontrolliert nicht mehr mein Leben. Ich hab einen Job in einem kleinen Büro, ich kann mit Kollegen reden, ohne ständig in Panik zu geraten.

Was ich gelernt habe: All die Therapien und Übungen haben mir nicht so sehr geholfen wie die einfache Erfahrung, von jemandem vollständig akzeptiert zu werden. Bei Tom musste ich meine Angst nicht verstecken oder bekämpfen. Sie war einfach da, und das war okay.

Ich wünschte, die Therapeuten hätten mehr darüber gesprochen, wie wichtig es ist, Menschen zu finden, bei denen man sich sicher fühlt. Vielleicht ist das der eigentliche Schlüssel: nicht die Angst mit aller Gewalt wegtherapieren zu wollen, sondern zu lernen, dass man trotz der Angst liebenswert ist.

Manchmal denke ich daran zurück, wie es früher war – die endlosen Therapiestunden, die Panik vor sozialen Situationen, das Gefühl, irgendwie kaputt zu sein. Und dann sehe ich Tom an und denke: Manchmal findet man Heilung an Orten, wo man sie am wenigsten erwartet.

Tabea P., Hamburg

Tabea P. aus Hamburg