Ohne Wartezeit auf Therapie

Erfahrungsbericht: Emetophobie machte mich erst einsam, dann depressiv

Es begann mit einer Party, die eigentlich wie jede andere sein sollte. Ich war damals 23, studierte noch und hatte einen großen Freundeskreis. An diesem Abend hatte mich ein Studienfreund zu einer Hausparty mitgenommen – viele Leute, die ich nicht kannte, aber die Stimmung war gut. Zumindest anfangs.

Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als mein Bier seltsam schmeckte. Eigentlich hätte ich es bemerken sollen, aber in der lauten Umgebung, mit der Musik und den Gesprächen, trank ich es trotzdem. Etwa eine Stunde später begann der Albtraum.

Die Übelkeit kam plötzlich und mit einer Intensität, die ich noch nie zuvor erlebt hatte. Ich schaffte es gerade noch ins Bad, bevor ich mich heftig übergeben musste. Was folgte, waren drei Tage Hölle. Unkontrollierbare Übelkeit, Erbrechen, Schweißausbrüche und ein Gefühl von absoluter Hilflosigkeit. Erst später erfuhr ich von meinem Freund, dass einige Typen auf der Party damit angegeben hatten, „etwas Lustiges“ in mein Getränk gemischt zu haben. Ein Spaß für sie, ein Trauma für mich.

Nach dieser Erfahrung war nichts mehr wie zuvor. In den ersten Wochen danach dachte ich noch, es würde vorübergehen – diese Angst, wieder die Kontrolle zu verlieren, wieder so krank zu werden. Doch statt besser wurde es schlimmer. Ich begann, Einladungen zum Essen abzusagen. Getränke in Bars oder Clubs? Undenkbar. Was, wenn wieder jemand etwas hineinmischen würde? Was, wenn ich krank werden würde, mich übergeben müsste – in der Öffentlichkeit?

Nach etwa drei Monaten bemerkte ich, dass meine Gedanken ständig um das Thema kreisten. Nicht nur das Trinken in öffentlichen Räumen machte mir Angst, sondern jede Situation, in der ich mich übergeben könnte. Busfahrten, Kinobesuche, selbst das Essen bei meinen Eltern löste Unbehagen aus. Eine online-Recherche brachte mich zum ersten Mal mit dem Begriff „Emetophobie“ in Kontakt – die krankhafte Angst vor dem Erbrechen. Die Beschreibungen passten perfekt zu dem, was ich durchmachte.

Mein Leben veränderte sich grundlegend. Aus einem geselligen jungen Mann wurde ein Einsiedler. Meine Wohnung wurde zur Festung, zum einzigen Ort, an dem ich mich sicher fühlte. Ich kochte nur noch selbst, wusch Gemüse und Obst mehrfach, prüfte jeden Geruch, jede Verfallszeit genauestens. Lebensmittel, die leicht verderben konnten, verbannte ich aus meinem Kühlschrank.

Die sozialen Folgen waren verheerend. Freunde, die anfangs noch Verständnis zeigten, gaben irgendwann auf, mich einzuladen. Ich sah die Nachrichten in unserer Gruppe, wenn sie sich ohne mich trafen. Verübeln konnte ich es ihnen nicht – wer will schon jemanden dabeihaben, der ständig nervös ist und bei jedem Anzeichen von Übelkeit panisch wird?

Meine Familie verstand nicht, was mit mir los war. „Stell dich nicht so an“, bekam ich oft zu hören. „Jeder muss mal kotzen.“ Aber es war nicht die Angst vor dem Erbrechen an sich, sondern die Angst vor der Angst, vor diesem unkontrollierbaren Gefühl der Panik und Hilflosigkeit.

Nach etwa eineinhalb Jahren war ich so isoliert, dass ich kaum noch meine Wohnung verließ. Mein Studium hatte ich unterbrochen, meinen Nebenjob gekündigt. Die Einsamkeit war erdrückend, und doch konnte ich nichts dagegen tun. Die Diagnose „Depression“ kam für mich nicht überraschend – ich hatte sie kommen sehen. Die Freudlosigkeit, die Erschöpfung, der ständige Gedanke daran, dass dieses Leben nicht lebenswert sei – all das hatte sich langsam, aber sicher eingeschlichen.

Es war meine Mutter, die mich schließlich zu einem Termin im Institut für moderne Psychotherapie drängte. „Einmal“, sagte sie, „geh einmal hin, mehr verlange ich nicht.“ Ich ging ihr zuliebe, ohne jede Hoffnung.

Die Therapeutin Daniela Bernhardt war ganz anders als erwartet. Sie hörte zu, ohne mich zu unterbrechen, ohne mir das Gefühl zu geben, überzureagieren. Sie erklärte mir, wie die Angst sich neuronal in meinem Gehirn verankert hatte und welche Möglichkeiten es gibt, diese Verankerung wieder zu lösen. „Was wäre“, fragte sie dann in unserem zweiten Termin, „wenn die Erinnerung an diese Erfahrung zwar noch da wäre, aber keine negativen Emotionen mehr auslösen würde?“ Ich hielt das für unmöglich. Die Erinnerung war so stark, so überwältigend. „Es gibt eine Technik“, erklärte sie, „die wir Zoom-Technik nennen. Sie hilft dabei, aufkommenden Angstgedanken den Nährboden zu entziehen.“

Diese Technik war überraschend einfach. Immer wenn die Angst aufkam, sollte ich mir das angstauslösende Bild vorstellen – aber dann in meiner Vorstellung von diesem Bild „wegzoomen“, es kleiner werden lassen, bis es nur noch so groß war wie ein Sandkorn. Und aus diesem Sandkorn sollte ich in meiner Fantasie dann ein neues Bild springen lassen, wie ein Pop-Up bei einem Computer. In diesem Bild sollte ich mich sehen, wie ich früher war. Jemand der gerne Party macht, dem sein Bier schmeckt, der sich im Kreis seiner Freunde richtig wohl fühlt.

Die Technik klang viel zu einfach, um zu funktionieren. Doch da mir Frau Bernhardt versicherte, dass sie sehr schnell Wirkung zeigen würde, wenn man sie konsequent anwendet, ließ ich es auf einen Versuch ankommen. Ich übte täglich. Die ersten Male fühlte es sich seltsam an, fast lächerlich. Aber nach einer Woche konnte ich tatsächlich spüren, wie die Intensität meiner Angst nachließ, wenn ich die Technik anwendete. Nach drei Wochen wagte ich es zum ersten Mal, in einem Café einen Tee zu trinken. Mein Herz raste, aber mit Hilfe der Zoom-Technik gelang es mir, die aufkommende Panik zu kontrollieren.

Die folgenden Monate waren voller kleiner Fortschritte. Erst ein Abendessen mit meinen Eltern, dann ein Treffen mit einem alten Freund. Mit jedem erfolgreichen „Experiment“ wuchs mein Selbstvertrauen. Die Zoom-Technik wurde zu meinem ständigen Begleiter, eine Art mentales Werkzeug, das ich immer griffbereit hatte.

Nach etwa sechs Monaten intensiven Übens merkte ich auch, wie die depressive Stimmung langsam nachließ. Es waren nicht nur die Erfolge im Umgang mit meiner Angst, sondern auch die wiederkehrenden sozialen Kontakte, die mir halfen. Ich hatte vergessen, wie gut es sich anfühlte, zu lachen, mit anderen verbunden zu sein.

Heute, drei Jahre nach jener verhängnisvollen Party, wird mein Leben nicht mehr von der Emetophobie bestimmt. Natürlich gibt es noch Momente, in denen die Angst aufblitzt – wenn ich eine Magenverstimmung habe oder jemand in meiner Nähe krank wird. Aber diese Momente sind kurz. Die Zoom-Technik ist mittlerweile so selbstverständlich für mich wie das Handy in meiner Hosentasche – immer da, wenn ich sie brauche.

Ich studiere wieder, habe einen neuen Freundeskreis aufgebaut und gehe regelmäßig aus. Manchmal, wenn ich mit Freunden in einer Bar sitze, denke ich an diese dunkle Zeit zurück und bin dankbar für den Weg, den ich gegangen bin. Die Narben sind noch da, aber sie schmerzen nicht mehr.

Was mich besonders ärgert, wenn ich zurückblicke: Alles begann mit einem „Scherz“, mit Menschen, die sich auf meine Kosten amüsieren wollten, ohne die Konsequenzen zu bedenken. Ich wünschte, sie wüssten, was sie angerichtet haben. Doch gleichzeitig bin ich auch dankbar für die Erfahrung, so seltsam das klingen mag. Sie hat mich stärker gemacht und mir gezeigt, dass ich mehr überwinden kann, als ich je für möglich gehalten hätte.

Bild-anonymer User

David R. aus Königs Wusterhausen