Als die zwei rosa Streifen auf dem Teststreifen erschienen, durchfluteten mich gleichzeitig Freude und Panik. Endlich schwanger – nach Jahren, in denen meine Emetophobie wie eine unsichtbare Mauer zwischen mir und meinem Kinderwunsch gestanden hatte. Die Angst vor dem Erbrechen, dieses lähmende Gefühl, das mich seit über zehn Jahren fest im Griff hatte, war wie ein ständiger Begleiter geworden. Und nun stand ich vor dem, was ich mir immer gewünscht und gleichzeitig am meisten gefürchtet hatte: Eine Schwangerschaft mit all ihren Unwägbarkeiten.
Begonnen hatte alles mit einem harmlosen Magen-Darm-Infekt in meinen späten Zwanzigern. Was für andere eine unangenehme, aber vorübergehende Erfahrung war, entwickelte sich bei mir zu einer ausgewachsenen Phobie. Die bloße Vorstellung, mich übergeben zu müssen, ließ meinen Puls hochschnellen und meinen Körper in Alarmbereitschaft versetzen. Unser Gehirn kann leider nicht zwischen echten und vorgestellten Bedrohungen unterscheiden – ein Gedanke kann dieselbe Stressreaktion auslösen wie eine tatsächliche Gefahr. So kreisten meine Gedanken ständig um Situationen, in denen ich mich übergeben könnte, und mein Nervensystem war immer in Hochspannung.
Jahrelang hatte ich meine biologische Uhr ignoriert, oder besser gesagt: verdrängt. Bis meine Frauenärztin mir bei meinem letzten Check-up mit sanfter Bestimmtheit deutlich machte, dass die Zeit für Entscheidungen knapp wurde. „Mit Ende 30 wird es von Jahr zu Jahr schwieriger, ein gesundes Kind zu bekommen“, sagte sie und schaute mir direkt in die Augen. „Wenn Sie Kinder möchten, sollten Sie nicht mehr lange warten.“
Diese Worte trafen mich hart. Natürlich wusste ich um die nachlassende Fruchtbarkeit mit zunehmendem Alter, aber die Vorstellung von monatelanger Übelkeit und Erbrechen hatte meinen Kinderwunsch immer in den Hintergrund gedrängt. In dieser Nacht führte ich ein langes Gespräch mit meinem Mann. Tobi hörte geduldig zu, wie er es schon so oft getan hatte, wenn ich über meine Angst sprach. „Wir werden einen Weg finden“, versprach er, und zum ersten Mal seit Jahren ließ ich den Gedanken zu, dass er Recht haben könnte.
Drei Monate später war ich schwanger. Die erste Hälfte der Schwangerschaft vergingen ohne nennenswerte Übelkeit, und ich hoffte schon, zu den Glücklichen zu gehören, die davon verschont bleiben. Doch die Angst blieb. In einem Geburtsvorbereitungskurs passierte dann, was ich am meisten gefürchtet hatte: Eine andere Schwangere berichtete ausführlich über ihre morgendliche Übelkeit, ihre häufigen Schwindelanfälle und die vielen Male, die sie sich schon übergeben hatte. Während sie sprach, spürte ich, wie mein Atem flacher wurde, mein Herz raste und kalter Schweiß mir den Rücken hinunterlief – eine Panikattacke, mitten im Kurs.
Tobi brachte mich nach Hause, und ich verbrachte den Rest des Tages wie betäubt. Die Angst hatte mich wieder eingeholt, und diesmal konnte ich ihr nicht ausweichen. Ich war schwanger, und alle meine Ängste schienen sich zu bestätigen.
In der 33. Schwangerschaftswoche kam Tobi eines Abends mit einer Zeitung nach Hause. „Schau mal, was ich gefunden habe“, sagte er und reichte mir einen Artikel aus der Neuen Westfälischen. Darin berichtete Fabian Klos, ein ehemaliger Fußballprofi von Arminia Bielefeld, wie er mithilfe des Buches „Panikattacken und andere Angststörungen loswerden“ von Klaus Bernhardt seine Panikattacken überwunden hatte. „Warum versuchst du es nicht auch damit?“, fragte Tobi.
Zunächst war ich skeptisch. Was sollte ein Buch bewirken können, was jahrelange Unterdrückung meiner Angst nicht geschafft hatte? Aber ich war verzweifelt genug, um es zu versuchen. Schon am nächsten Tag hielt ich das Buch in den Händen.
Was mich besonders ansprach, war Bernhardts verständliche Erklärung, wie unser Gehirn Ängste entwickelt und – wichtiger noch – wie wir es neu programmieren können.
Die Schlüsselerkenntnisse des Buches waren für mich:
- Angst entsteht im Kopf: Unsere Gedanken und inneren Bilder lösen körperliche Reaktionen aus. Der Körper reagiert auf intensive Vorstellungen fast genauso wie auf tatsächliche Erlebnisse.
- Neuroplastizität – unser Gehirn ist veränderbar: Die Verbindungen in unserem Gehirn sind nicht fest verdrahtet, sondern können sich durch bewusste Übung neu organisieren. Was wir denken und uns vorstellen, formt buchstäblich unser Gehirn.
- Die Macht der Bilder: Besonders eindrücklich war für mich die Erkenntnis, dass unser Unterbewusstsein hauptsächlich in Bildern denkt. Wenn wir uns negative Szenarien bildlich ausmalen, reagiert unser Körper mit Stress. Umgekehrt können positive, beruhigende Bilder das Angstsystem herunterregulieren.
Eine Technik, die mir besonders half, nannte Bernhardt die „Zoom-Technik“. Sobald ich merkte, wie vor meinem inneren Auge wieder „unappetitliche“ Bilder auftauchten, ließ ich dieses Bild wegzoomen, bis es so klein war, dass ich nichts mehr erkennen konnte. Dann stellte ich mir vor, wie eine andere Szene wie ein Pop-up in meinem Kopf auftauchte, in der ich mit meinem dreijährigen Sohn (inzwischen wussten wir schon, dass es ein Junge wird) auf der Wiese vor unserem Haus Ball spiele. Je öfter ich das schlechte Bild wegzoomte und das gute stattdessen auftauchen ließ, umso schwächer wurde die Angst. Nach etwa 3 Wochen stellte ich erstaunt fest, dass mein Gehirn die Zoom-Technik ganz alleine anwendete, sobald ein Gedanke auftauchte, der mich früher sofort in Panik versetzt hätte. Offensichtlich hatte mein Gehirn tatsächlich das Muster erkannt, mit dem ich mich jetzt schützte und es genauso automatisiert, wie es zuvor die Angstgedanken automatisiert hatte.
Noch heilsamer waren für mich jedoch die Visualisierungsübungen, die Bernhardt die 10-Satz-Methode nannte. Dabei stellte ich mir mehrmals täglich in allen Einzelheiten vor, wie ich entspannt, mutig und stolz auf meinen dicken Bauch, die Schwangerschaftszeit hinter mich bringe. Dabei ging es nicht darum, die Angst zu unterdrücken, sondern ein neues, stärkeres Bild in meinem Kopf zu verankern.
Die Veränderung kam nicht über Nacht, aber sie kam. Nach 4 Wochen konsequenter Übung bemerkte ich, dass mein Herzschlag ruhiger blieb, wenn ich an mögliche Übelkeit dachte. Nach 6 Wochen konnte ich an Gesprächen über Schwangerschaftsbeschwerden teilnehmen, ohne in Panik zu geraten. Und als mir eine Woche vor dem errechneten Entbindungstermin tatsächlich morgens so richtig übel wurde, schaffte ich es, ganz ruhig zu bleiben, bis die Übelkeit wieder verging.
Als unser Sohn Max schließlich nach einer anstrengenden, aber trotzdem erträglichen Geburt in meinen Armen lag, wusste ich: Die Schwangerschaft, die ich so lange gefürchtet hatte, war tatsächlich zu meiner Rettung geworden. Sie hatte mich gezwungen, mich meiner tiefsten Angst zu stellen, und dabei hatte ich entdeckt, dass mein Gehirn und mein Körper zu mehr Veränderung fähig waren, als ich je für möglich gehalten hätte.
Die Techniken aus Bernhardts Buch haben mir nicht nur geholfen, die letzten Wochen meiner Schwangerschaft zu genießen, sondern auch mein Leben zurückzugewinnen. Ich verstehe jetzt, dass Angst nicht unbesiegbar ist – sie ist nur ein fehlerhaftes Programm in unserem Gehirn, das wir mit den richtigen Werkzeugen umschreiben können. Und manchmal braucht es einen großen Schritt wie eine Schwangerschaft, um den ersten kleinen Schritt zur Überwindung unserer Ängste zu wagen.
Isa M. aus Bielefeld