Vor zwei Jahren hätte ich nie gedacht, dass ich mal Antidepressiva nehmen würde. Aber dann kam diese krasse Angst. Nicht einfach nur Nervosität, sondern richtige Panik, wenn ich nur ans Rausgehen dachte.
Es kam so schleichend. Erst hab ich nur volle Einkaufszentren gemieden, dann ging’s mit Bussen und Bahnen weiter. Irgendwann konnte ich kaum noch allein zum Briefkasten gehen. Mein Arzt nannte es Agoraphobie – Angst vor öffentlichen Orten und Situationen, wo man nicht so leicht wegkommt.
Nach ein paar echt schlimmen Panikattacken in der Bahn (einmal musste ich sofort raus und meinen Mann anrufen, damit er mich abholt) meinte mein Arzt, ich sollte Paroxetin probieren. Das ist so ein Antidepressivum, das auch bei Angst helfen soll. Ich war total unsicher. Antidepressiva? War’s bei mir echt schon so weit? Ich hab nächtelang auf Reddit Erfahrungsberichte gelesen. Das war echt verwirrend:
Da schrieb einer: „Hat mir mein Leben zurückgegeben!“ Daneben stand: „Absolute Hölle beim Absetzen, hätte ich bloß nie angefangen.“
Manche meinten: „Schon in der ersten Woche ging’s mir viel besser.“ Andere warnten: „Macht dich faul, unmotiviert und dick.“
Was mir echt aufgefallen ist: viele schrieben über Probleme im Bett. „Zerstörte mein Sexleben“ und sowas las ich dauernd. Ich dachte: Bei mir wird’s schon nicht so schlimm.
Nach einem richtig miesen Tag, als ich einen wichtigen Termin verpasst hab, weil ich’s einfach nicht in den Bus geschafft hab, hab ich die Tabletten genommen. Mein Mann hat mich unterstützt, obwohl er selbst Bedenken hatte. Die ersten zwei Wochen waren… komisch. Mir war schwindelig, mein Mund war ständig trocken, und manchmal war mir schlecht. Mein Arzt hatte gesagt, dass der Anfang unangenehm sein kann.
Nach ungefähr einem Monat merkte ich erste Verbesserungen. Die Angst war nicht mehr so heftig. Ich konnte wieder kleine Einkäufe machen, ohne vorher stundenlang zu planen. Mein Mann hat sich mit mir über jeden kleinen Erfolg gefreut – ob’s der Friseurbesuch war oder das kurze Gespräch mit der Nachbarin. Die Angst war nicht weg, aber gedämpft. Als würde sie hinter einer Glasscheibe stehen. Ich würde sagen, die Symptome waren etwa ein Drittel weniger – immer noch da, aber auszuhalten.
Nach etwa drei Monaten fiel mir auf, dass ich zwar weniger Angst hatte, aber auch… weniger von allem anderen. Freude, Trauer – alles war irgendwie flacher. Ich hab funktioniert, aber nicht richtig gefühlt. Am schlimmsten war, dass ich keinen Antrieb mehr hatte. Früher hatte ich trotz meiner Ängste noch Pläne, wollte Dinge erreichen. Jetzt war ich zufrieden damit, einfach auf der Couch zu sitzen. Meine Hobbys – Malen, Lesen, Kochen – waren mir plötzlich egal.
Nach ungefähr sechs Monaten kam dann das, wovor so viele auf Reddit gewarnt hatten: Mein Sexualtrieb war fast komplett weg. Es war nicht nur, dass ich keine Lust hatte – selbst wenn ich wollte, fühlte sich alles taub an, als hätte jemand den Stecker gezogen. Mein Mann hat sich echt Mühe gegeben, verständnisvoll zu sein. „Das geht vorbei“, hat er immer gesagt. Aber ich hab gemerkt, wie die fehlende Nähe an unserer Beziehung genagt hat. Es ging nicht nur um Sex – ich hatte keine Energie mehr für gemeinsame Unternehmungen, für richtige Gespräche, für all die kleinen Dinge zwischen uns.
Nach einem Jahr hab ich durch Zufall eine neue Stelle gefunden. Eine Freundin hat mich empfohlen, und das Büro war nur fünf Minuten von unserer Wohnung entfernt. Der neue Job gab mir Struktur, nette Kollegen und neues Selbstvertrauen. Wegen des guten neuen Jobs und weil ich mir Sorgen um meine Ehe machte, beschloss ich nach einem Jahr, das Paroxetin abzusetzen. Mein Arzt warnte mich, es langsam zu machen und nicht einfach aufzuhören.
Was dann kam, hatte ich trotz aller Warnungen auf Reddit total unterschätzt. Fast zwei Monate lang ging’s mir richtig dreckig. Es fühlte sich an, als wären alle meine Nerven blank. Schwindel, Übelkeit, diese komischen „Gehirnzaps“ (so nennen es viele online – diese seltsamen Stromschlag-Gefühle im Kopf), Stimmungsschwankungen, und die Angst kam zurück.
Es gab Tage, da wollte ich sofort wieder anfangen mit den Tabletten, nur um diesen schrecklichen Entzug loszuwerden. Aber mein Mann hat mir durchgeholfen – er hat mich daran erinnert, warum ich aufhören wollte, und dass jeder Tag ein Schritt näher zum Ende war.
Heute, sechs Monate nachdem ich komplett aufgehört habe, kann ich sagen: Die Angst ist nicht ganz weg, aber ich komm damit klar. Der neue Job hilft mir total – der kurze Weg, die netten Kollegen, die flexiblen Zeiten. Vor allem bin ich wieder ich selbst. Ich fühle wieder richtig – Gutes und Schlechtes. Mein Antrieb ist zurück, und auch mein Interesse an meinem Mann. Unsere Beziehung wird langsam wieder besser, und ich bin echt dankbar, dass er so geduldig war.
Würde ich Paroxetin nochmal nehmen? Ehrlich gesagt: nein. Für mich war der Preis zu hoch. Ja, es hat bei der Angst geholfen, aber diese emotionale Taubheit und die Probleme im Bett haben mein Leben und meine Ehe zu sehr belastet. Vor allem dieser brutale Entzug hat mich total erschreckt. Ich bereue nicht, es probiert zu haben. Es hat mir in einer sehr dunklen Zeit geholfen, als ich keine andere Lösung sah. Aber ich hab gelernt, dass Tabletten für mich nicht der einzige Weg sind. Die Veränderung meiner Lebensumstände – besonders der neue Job – hat mehr gebracht als die Medikamente.
Wenn du ähnliche Probleme hast und über Medikamente nachdenkst: Rede mit deinem Arzt über ALLE möglichen Nebenwirkungen und Alternativen. Was bei mir nicht geklappt hat, kann für andere richtig sein. Aber sei ehrlich mit dir selbst über die Veränderungen, die du bemerkst – gute wie schlechte. Die Angst vor öffentlichen Plätzen ist für mich jetzt ein Begleiter, kein Chef mehr. Und das hab ich am Ende nicht den Tabletten zu verdanken, sondern vor allem mir selbst und den Menschen um mich herum.
Melanie D. aus Burghausen