Ohne Wartezeit auf Therapie

Erfahrungsbericht: Wie ich meine Agoraphobie nur mit einem Buch loswurde

Wie alles anfing
Also, ich sag’s mal so: Ich hätte nie gedacht, dass so ein normaler Dienstagmorgen mein Leben komplett auf den Kopf stellen würde. Ich war auf dem Weg zur Arbeit, saß ganz friedlich in der U-Bahn – und zack: Zug bleibt mitten zwischen zwei Stationen stehen. Licht flackert, Luft wird stickig, keiner weiß, was los ist. Eigentlich nix Wildes. Kommt halt vor. Aber für mich war das der Anfang von was richtig Fiesem.

Danach ging’s los: Allein beim Gedanken, wieder Bahn zu fahren, ist mir der Kreislauf abgehauen. Schweißausbrüche, Herzrasen, Schwindel – und dieses krasse Gefühl, nicht wegzukommen. Also ab zum Doc. Diagnose: Agoraphobie. Klang erstmal harmlos, war es aber nicht!

Leben mit der Angst
Von da an war mein Alltag… kompliziert. Statt 20 Minuten mit der Bahn zur Arbeit bin ich fast ne Stunde mit dem Rad gefahren – bei Regen, Schnee, Hitze, egal. Oder halt Taxi. War teuer, aber wenigstens kein Panik-Flash. Reisen? Kaum möglich. Jobs? Nur die, die ich zu Fuß erreichen konnte. Ich hab Ausreden erfunden, Treffen abgesagt, war nur noch im Vermeiden-Modus.

Und die Tipps von außen? Nett gemeint, aber eher frustrierend: „Ist doch nicht so schlimm“, „Reiß dich mal zusammen“. Joa, danke. Hat halt keiner gecheckt, wie das wirklich ist. Irgendwann hab ich gar nix mehr gesagt. Zu viel Scham, zu viel Erklärerei.

Was alles nicht geholfen hat
Ich hab echt einiges ausprobiert. Meditation, Atemübungen, Hypnose, Therapie. Da war auch ne Konfrontationstherapie dabei – also sich langsam rantasten. Erstmal nur auf den Bahnsteig stellen. Puls wie beim Marathon. Beim Versuch, einzusteigen, bin ich komplett zusammengeklappt. Therapie abgebrochen. Medikamente? Joa… haben mich irgendwie betäubt, aber nicht wirklich geholfen. Und süchtig wollte ich auch nicht werden.

Der Wendepunkt
Und dann kam der Zufall ins Spiel. In der Reha-Klinik hab ich aus Langeweile ein Buch in die Hand genommen – „Panikattacken und andere Angststörungen loswerden“. Der Ansatz war irgendwie anders. Kein „Stell dich deiner Angst“ mit der Brechstange, sondern sanfter, vielseitiger, irgendwie freundlicher.

Langsam wieder reingefunden
Ich hab mit Mini-Schritten angefangen. Visualisieren – also sich vorstellen, wie man ganz entspannt Bahn fährt. Dann noch die anderen Sinne dazunehmen, hören, fühlen, riechen, schmecken. Aber eben nur positiv. War gar nicht so einfach. Irgendwie hatte mein Hirn voll verlernt, wie das geht. Erst wars ungewohnt, doch dann mit der Zeit ziemlich wirkungsvoll. Hab das jeden Tag gemacht (okay, manchmal sogar mehrmals). Nach ein paar Wochen dann der erste echte Versuch: Eine Station, mit jemandem, dem ich vertraue. Und siehe da – keine Panik. Noch nicht ganz locker, aber überlebt.

Dann Schritt für Schritt weiter. Zwei Stationen. Dann drei. Irgendwann ganze Linien. Klar, es gab Rückschläge. Tage, an denen ich dachte: „Nope, heute nicht.“ Aber ich hab weitergemacht. Immer wieder diese Übungen mit allen Sinnen – das hat echt was verändert.

Der große Aha-Moment
Nach etwa sechs Monaten war ich plötzlich mitten in der Stadt unterwegs, saß in der U-Bahn – und hab’s erst nach ein paar Stationen gecheckt: Ich hab gar nicht drüber nachgedacht, keine Strategien, kein innerer Kampf. Ich bin einfach gefahren. Ohne Drama. Und ich konnte es selbst kaum glauben.

Was ich mitgenommen hab
Heute fahr ich wieder regelmäßig mit Bus und Bahn. Klar, so ganz easy ist’s manchmal noch nicht – volle Züge find ich immer noch unangenehm. Aber die Angst ist nicht mehr der Boss. Ich hab mein Leben wieder selbst in der Hand. Was bleibt noch zu sagen? Falls du das hier liest und dich irgendwie wiedererkennst: Es gibt einen Weg raus. Nicht von heute auf morgen, aber Schritt für Schritt. Gib nicht auf, es lohnt sich!

Piet E., Berlin

Piet E. aus Berlin