Junge Frau mit Smartphone, im Hintergrund viele Grafiken wie web, connect und Logos von Social Media Plattformen

Social Media Sucht kann zu Ängsten, Depressionen und Zwängen führen

Die Royal Society for Public Health (RSPH) hat 2017 eine Studie veröffentlicht, in der der Einfluss sozialer Medien auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen untersucht wurde. Das Ergebnis ist besorgniserregend. Die Studienleiterin Shirley Cramer bringt es wie folgt auf den Punkt: 

„Soziale Medien sind größere Suchtmittel als Zigaretten und Alkohol. Deshalb dürfen wir ihre Auswirkungen auf die Psyche nicht mehr länger ignorieren.“

Vor allem Instagram und Snapchat sind laut der Studie prädestiniert dafür, bei jungen Menschen Gefühle von Unzulänglichkeit und Angst hervorzurufen. Das deckt sich auch mit den Erfahrungen, die wir in den vergangenen Jahren bei uns im Institut gemacht haben. Allerdings konnten wir zusätzlich noch eine deutliche Zunahme von Zwangsstörungen und Depressionen beobachten. Diese waren umso ausgeprägter, je mehr die Betroffenen auch Symptome einer Social-Media-Sucht aufwiesen.

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Kind, das gebannt auf ein Smartphone schaut

Social Media Sucht: Auf diese Symptome sollten Sie achten

Dass der Begriff „Sucht“ keineswegs übertrieben ist, zeigt auch eine Studie, die das Forsa Institut 2021 für die Deutsche Angestellten Krankenkasse (DAK) durchgeführt hat. Demnach verbringen in Deutschland 85 % der 12- bis 17-Jährigen fast drei Stunden pro Tag in den sozialen Medien. Bei 2,6 % seien sogar alle Kriterien erfüllt, um von einer regelrechten Abhängigkeit zu sprechen. Das bedeutet, dass hierzulande etwa 100.000 Minderjährige so süchtig nach TikTok, Instagram und Co. sind, dass ein plötzlicher Verzicht zu regelrechten Entzugserscheinungen führen würde.

Test: Besteht bereits eine Social Media Sucht

Wer testen möchte, ob sein Kind (oder man selbst) bereits von sozialen Medien abhängig ist, kann dies mithilfe der folgenden sieben Fragen tun. Lautet die Antwort sechsmal oder öfter JA, besteht dringender Handlungsbedarf. Allerdings sollten Sie Ihrem Nachwuchs nicht einfach das Handy wegnehmen, denn dadurch helfen Sie keinem. Auf diese Weise würden Sie nämlich nur dafür sorgen, dass Instagram und Co. noch attraktiver werden, während der elterliche Rat immer unattraktiver wird und schon bald kategorisch abgelehnt wird. 

Viel klüger ist es, selbst mit gutem Beispiel voranzugehen und bessere Angebote zu unterbreiten, mit denen Ihr Kind seine Freizeit sinnvoll verbringen kann. Probieren Sie einfach mal ein paar Sachen aus und lassen Sie sich überraschen. Manchmal lassen sich unsere Kinder für Sachen begeistern, die wir nicht für möglich gehalten hätten. Als meine Tochter vergangenes Jahr mal wieder zu viel Zeit an ihrem Handy verbracht hatte, habe ich zum Beispiel meine alte Dartscheibe samt Pfeilen aus dem Keller geholt und im Garten aufgehängt. Wenn ich abends mit ein paar Freunden die eine oder andere Runde spielte, gesellte sich meine damals 15-Jährige immer häufiger dazu und wollte mitspielen. Mittlerweile ist unser Garten ein regelrechter Treffpunkt für ihre Freunde geworden, und Kids, die früher stundenlang ins Handy gestarrt haben, liefern sich nun lachend ein Dart-Turnier nach dem anderen.

Sieben Fragen zur Social-Media-Sucht:

  1. Sind Sie die überwiegende Zeit unzufrieden mit sich?
  2. Haben Sie öfter das Gefühl, dass andere ein spannenderes Leben führen als Sie?
  3. Vergleichen Sie sich oft mit Menschen, deren Leben Sie nur aus den sozialen Medien kennen?
  4. Fühlen Sie sich oft gestresst, selbst wenn gerade nichts zu tun ist? Und kommen Sie nur dann zur Ruhe, wenn Sie durch soziale Medien scrollen?
  5. Fühlen Sie sich oft einsam?
  6. Sind Sie mit Ihrem Körper unzufrieden oder suchen Sie öfter nach Stellen, die besser sein könnten?
  7. Haben Sie öfter Angst, Sie könnten etwas verpassen?

Vor allem der letzte Punkt, auch Fear Of Missing Out oder FOMO genannt, kann die Entstehung von Zwangsstörungen sowie Ängsten und Depressionen begünstigen. Doch was ist mit FOMO eigentlich genau gemeint? Am besten lässt sich das an einem Beispiel erklären, das Sie vielleicht aus Ihrem eigenen Leben kennen: 

Man hat Feierabend und scrollt zum Zeitvertreib durch seinen Newsfeed bei Facebook. Beim Post eines alten Schulfreunds bleibt man hängen. Das Foto zeigt ihn gerade mit einem farbenfrohen Cocktail in der Hand, während im Hintergrund die Sonne im Meer versinkt. Ein Stückchen weiter unten postet ein Arbeitskollege einen Teller mit appetitlich angerichtetem Essen, und Sie erfahren, dass er gerade das neueste Restaurant der Stadt erkundet. Bis eben waren Sie eigentlich noch ganz zufrieden damit, zu Hause auf dem Sofa zu sitzen und gleich eine Folge Ihrer Lieblingsserie zu sehen, doch nun überkommt Sie irgendwie das Gefühl, etwas zu verpassen. 

Oder schlimmer noch, es überkommt Sie der Gedanke, dass alle anderen mehr Spaß am Leben haben als Sie. Wenn das nur hin und wieder geschieht, ist das nicht weiter schlimm und vielleicht sogar ein Hinweis darauf, dass Sie wirklich mal wieder ausgehen sollten. Bei Kindern und Jugendlichen hingegen treffen all diese Posts auf ein Gehirn im Umbau. Zwar wissen die meisten, dass überwiegend Extreme gepostet werden, positive wie negative, doch die Vielzahl der Posts vermittelt dennoch unterbewusst das Gefühl, dass man eigentlich ständig etwas verpasst.

Das Wort FOMO, großgeschrieben

FOMO: Oft der erste Schritt in eine Social-Media-Abhängigkeit

FOMO beschreibt einerseits die Angst, soziale Events zu verpassen, und andererseits die Sorge, nicht mitzubekommen, wenn andere tolle Dinge erleben. Wie bereits erwähnt, besteht kein Grund zur Sorge, wenn einen dieses Gefühl nur ab und an überkommt. Wir sind soziale Lebewesen und generieren Lebensfreude im Wesentlichen aus Gemeinschaftserlebnissen, an denen wir direkt oder zumindest indirekt teilhaben. Von FOMO ist erst dann die Rede, wenn Betroffene es nicht mal einen einzigen Tag schaffen, auf Instagram, Snapchat oder Facebook zu verzichten. Oder wenn Sie sich maßlos ärgern, nur weil sie mal eine Nachricht auf WhatsApp oder dem Facebook-Messenger übersehen haben und dadurch eine Party oder ein Event verpasst haben.

Mein Tipp:

Begeistern Sie Ihre Kinder für Aufgaben und Ziele, die nichts mit sozialen Medien zu tun haben und die dennoch das Bedürfnis nach sozialer Interaktion befriedigen.

Das Kopieren medialer Vorbilder kann psychisch krank machen

Ist Ihnen das auch schon mal passiert? Sie informieren sich online über ein Produkt, und kurze Zeit später werden Sie mit passenden Angeboten überhäuft, obwohl Sie nie etwas kaufen wollten oder schon längst gekauft haben. Die wichtigste Währung im Internetzeitalter sind Daten. Deshalb werden sowohl Ihre eigenen Schritte im Netz getrackt und ausgewertet als auch die Ihrer Kinder. Ziel ist es, uns beim nächsten Ausflug ins Web möglichst genau das zu präsentieren, was uns am meisten interessiert. Entweder um direkt unser Kaufinteresse zu wecken oder aber, um unsere Daten gewinnbringend zu vermarkten. Ob uns das gefällt oder nicht, unser Bewegungsprofil im Netz ist für Marketingfirmen und Onlinehändler bares Geld. Nicht umsonst heißt es, wer online etwas umsonst bekommt, der bezahlt trotzdem, und zwar mit seinen Daten.

Als ich für mein drittes Buch „Zwänge und Zwangsgedanken loswerden“ recherchierte, wurden mir in den sozialen Medien binnen kürzester Zeit nur noch Videos und Beiträge angeboten, die fast ausnahmslos irgendetwas mit Zwangsstörungen zu tun hatten. Der Hashtag OCD, also die Abkürzung für Obsessive Compulsive Disorder war, omnipräsent. Dabei fiel mir auf, dass diese englische Bezeichnung für eine Zwangsstörung auch häufig bei Posts verwendet wurde, die nichts mit einer genannten Erkrankung zu tun hatten, sondern bestenfalls auf eine leicht zwanghafte Persönlichkeit hindeuteten.

Bilder von perfekt aufgeräumten Wäscheschubladen, symmetrisch angelegte Vorgärten und sogar akkurat gezogene Scheitel, alles wurde mit dem Hashtag OCD versehen. Doch warum? Scheinbar werden psychische Probleme in der Onlinewelt immer mehr zu einem nützlichen Accessoire, einem Must-have, um überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Wer in den sozialen Medien „normal“ ist, wird nicht beachtet. Entweder man strotzt vor Gesundheit oder ist psychisch angeschlagen, alles andere fällt durchs Aufmerksamkeitsraster. Nun könnte man meinen, das sei doch etwas Gutes, weil dadurch Zwangsstörungen, Angststörungen oder auch Depressionen endlich aus der Stigmatisierungsecke geholt werden. Doch leider ist dem nur bedingt so.

Mann, nachdenklich an Wand lehnend

Social Media Outing: Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht

Anfangs habe ich mich tatsächlich darüber gefreut, dass immer mehr Prominente sich outen und über ihre psychische Erkrankung sprechen. Wenn Menschen, die im Licht der Öffentlichkeit stehen, diesen Schritt wagen, dann hat das Vorbildcharakter. Dadurch, so dachte ich, sollte es auch Nicht-Prominenten leichter fallen, offen über Ihre Probleme zu sprechen und sich professionelle Hilfe zu suchen. Und anfangs war das sicher auch so. Als Robert Enke, der Torhüter der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft, sich 2009 das Leben nahm und bekannt wurde, dass er jahrelang unter Depressionen gelitten hatte, ging ein Ruck durch die Republik. Was, der war auch depressiv? Das hat man dem gar nicht angesehen. Psychische Probleme waren mit einem Mal kein Tabuthema mehr, und es entwickelte sich ein reger Diskurs.

Doch seit 2009 hat sich viel getan. Mittlerweile vergeht kaum ein Tag, ohne dass Prominente sich im Fernsehen oder auf Social-Media-Kanälen ausgiebig über ihre psychischen Störungen unterhalten. Dutzende von Büchern wurden veröffentlicht, und nicht wenige sind Bestseller geworden. Der Vorbildcharakter ist zwar nach wie vor gegeben, doch mittlerweile hat sich im Kielwasser dieser medialen Vorreiter ein weiteres Phänomen entwickelt, das überaus bedenklich ist. Auch wenn es Ihnen merkwürdig erscheinen mag: Psychisch krank zu sein kann auch eine Menge Aufmerksamkeit und Anerkennung mit sich bringen. Wer sich outet, generiert oft mehr Follower, Likes, Herzen und Daumen nach oben, als jemand, der Woche für Woche mühevoll neuen Content kreiert. Geteiltes Leid ist in der medialen Welt zu einer wertvollen Währung geworden. Und die ist vor allem bei Minderjährigen überaus begehrt. Denn damit kann man sich etwas kaufen, das vor allem bei Pubertierenden oft Mangelware ist: Anerkennung, Bedeutung und das Gefühl von Zugehörigkeit.

Social Media und die Macht der Opfer

Wer öffentlich darüber spricht, wie es ist, eine psychische Krankheit zu haben, wird immun gegen Kritik. Wer es wagt, einem Influencer gegenüber zu behaupten, er sei weniger das Opfer einer Zwangsstörung als vielmehr ein geschickter Marketing-Stratege, der wird in den Kommentaren gesteinigt. Doch bevor jetzt gleich ein Aufschrei der Entrüstung durch meine Leserschaft geht noch ein wichtiger Hinweis: Ich spreche hier nicht von denen, die wirklich ernsthaft davon betroffen sind und ihren Leidensgenossen mit Rat und Tat zur Seite stehen. Diese Menschen verdienen nach wie vor den größten Respekt. Ich spreche von der Masse der Trittbrettfahrer, die es mittlerweile auch gibt: Psychisch völlig gesunde Menschen, die harmlose Tics zur Zwangsstörung hochstilisieren, um mehr Klicks und Follower zu generieren. Der italienische Autor Daniele Giglioli schreibt in seinem Buch „Die Opferfalle: Wie die Vergangenheit die Zukunft fesselt“:

«Das Opfer ist der Held unserer Zeit. Opfer zu sein verleiht Prestige, verschafft Aufmerksamkeit, erzeugt machtvoll Identität, Anrecht, Selbstachtung. Es immunisiert gegen jegliche Kritik, garantiert eine über jeden vernünftigen Zweifel erhabene Unschuld.»

Der Autor verspottet in seinem Essay jedoch keineswegs Menschen, die unterdrückt oder verfolgt werden. Er beleuchtet vielmehr den Umstand, dass es in einer immer achtsamer werdenden westlichen Gesellschaft auch durchaus lukrativ sein kann, Opfer zu sein. Egal ob als Flüchtling, psychischer Kranker oder verfolgte Minderheit, immer häufiger wird die Opferrolle auch missbraucht, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Und das auf Kosten derer, die wirklich Opfer sind und dingend unsere Hilfe und Aufmerksamkeit bräuchten.

Bild von J.W. Goethe

Social Media fördert den Werther-Effekt

Bei der beschriebenen Entwicklung sehe ich die größte Gefahr darin, dass vor allem junge Menschen psychische Krankheiten unterbewusst als erstrebenswert einstufen. Wer mitten in der Selbstfindungsphase steckt, orientiert sich nämlich oft an medialen Vorbildern. Dieses Phänomen ist keineswegs neu und kann mitunter auch extreme Auswüchse haben. Als 1774 Johann Wolfgang von Goethes Werk „Die Leiden des jungen Werther“ erschien, kam es zu einer regelrechten Welle von Selbstmorden. Das populäre Buch, dessen Hauptfigur unter Liebeskummer litt und am Ende Suizid beging, rief damals zahlreiche Nachahmer auf den Plan. Der amerikanische Soziologe David Philipps führte genau 200 Jahre später den Begriff Werther-Effekt ein. Er beschrieb damit das Phänomen, dass der Selbstmord prominenter Persönlichkeiten auch häufig zu einer erhöhten Suizidrate in der Bevölkerung führt, so wie das zum Beispiel nach dem Tod von Marilyn Monroe der Fall war.

Doch wir wollen nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen. Wenn Menschen ihren Idolen so weit nacheifern, dass sie auch vor dem Tod nicht zurückschrecken, wie viel wahrscheinlicher ist es dann, dass auch weniger dramatische Verhaltensweisen kopiert werden? Deshalb frage ich vor allem jugendliche Patienten oft nach ihren Vorbildern. Mich interessiert, wem sie auf YouTube, Instagram oder TikTok folgen und was ihre Motivation dahinter ist. Es ist nämlich keine Seltenheit, dass jungen Menschen über ihr Smartphone mehr Zeit mit Influencern verbringen als mit ihrer eigenen Familie.

Ich konnte feststellen, dass die Vorbilder, an denen sich junge Zwangs- auch Angstpatienten orientieren, überdurchschnittlich oft mit denselben Problemen zu kämpfen hatten und dies auch regelmäßig thematisierten. Die meisten Befragten gaben an, dass dies auch der Grund sei, warum sie diesen Personen folgen würden. Richtig spannend wurde es jedoch, als ich meine Aufzeichnungen etwas genauer auswertete. Dabei stellte sich nämlich heraus, dass fast die Hälfte der Betroffenen diesen Influencern bereits folgte, BEVOR bei ihnen erste Anzeichen einer Zwangs- oder Angststörung auftraten.

Dies führt zu zwei möglichen Schlussfolgerungen. Entweder hat ein Teil der Betroffenen die Zwangs- oder Angststörung unterbewusst kopiert oder aber sie befanden sich bereits in einer frühen Phase dieser Erkrankungen, ohne sich dessen bewusst zu sein.

Natürlich ist es erst mal gut und auch wichtig zu wissen, dass man mit seinen Problemen nicht allein ist und sogar Prominente darunter leiden. Doch diese Gemeinsamkeit birgt auch eine Gefahr, die in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewinnt. Dieselbe Krankheit zu haben wie der Mensch, den man vielleicht schon seit Jahren toll findet, schafft Zugehörigkeit und Identität. In der Psychologie spricht man in so einem Fall von einem secondary gain, also einem sekundären Krankheitsgewinn. Davon ist immer dann die Rede, wenn eine Krankheit neben der Belastung auch positive Effekte verursacht, auf die man unbewusst nicht verzichten will. In diesem Fall wäre das ein Zugehörigkeitsgefühl zu einem Idol oder schlicht auch eine „einfache“ Erklärung, warum man sich manchmal nicht wohl in seiner Haut fühlt. Wie wichtig auch der letzte Punkt sein kann, möchte ich Ihnen anhand eines Gesprächs erläutern, das ich vor ein paar Wochen mit meiner pubertierenden Tochter hatte.

Gruppe von Jugendlichen, Selfies machend

Social Media: Kinder wünschen sich eine Schublade, in die sie passen

Als ich vor ein paar Wochen mit meiner Tochter und dem Hund spazieren ging, sprachen wir über ihren Schulalltag und die Probleme, mit denen sich ihre Generation aktuell am meisten beschäftigte. Neben der Klimaerwärmung und dem Ukraine-Krieg, kamen wir dabei auch auf das Thema Mental Health. Nicht ich wählte die englische Bezeichnung für psychische Gesundheit, sondern meine Tochter, als sie sagte:

„Weißt du Papa, die Kids in meinem Alter fühlen sich oft ohne ersichtlichen Grund dreckig. Dieses ,Mental-Health-Ding‘ beschäftigt uns von morgens bis abends. Du glaubst gar nicht, wie viele meiner Schulkameraden schon beim Psychologen waren, um zu verstehen, was mit ihnen nicht stimmt. Etliche nehmen schon seit Jahren Antidepressiva, doch dabei wünschen sich viele einfach nur eine Erklärung, die sie akzeptieren können. Eine Art Label oder Schublade, in die sie passen und auf der steht: Angststörung, Essstörung, ADHS, Depression oder Zwangsstörung. Und das Gleiche ist auch mit der sexuellen Orientierung. So einfach wie das damals bei euch war, ist das heute nicht mehr. Ihr musstet nur herausfinden, ob ihr hetero-, homo- oder bisexuell seid. Heute spricht man auch von pan-, poly- oder asexuell, und auch die Geschlechter sind viel differenzierter. Neben männlich und weiblich gibt es zum Beispiel noch trans male, trans female, gender queer oder nonbinary. Je mehr Entscheidungen wir treffen sollen, desto schlechter fühlen wir uns. Und dann fangen wir an, nach Gründen für unsere „Mental Issues“ zu suchen. Wir wollen wissen, was mit uns nicht stimmt. Stecken wir im falschen Körper, haben wir eine psychische Krankheit oder ist die Welt um uns herum einfach nur total krank?“ 

Ich habe lange über dieses Gespräch nachgedacht und bin mir mittlerweile sicher, dass die sozialen Medien viel zu dieser negativen Entwicklung beigetragen haben. Unseren Kindern fehlt heute weitgehend die Möglichkeit, einfach nur aufzuwachsen und dabei Stück für Stück herauszufinden, wer sie sind und wohin ihr Weg sie führen soll? Stattdessen geben ihnen sozialen Medien Tag für Tag vor, wie sie sein sollten, was sie zu lieben oder zu hassen haben, und welche Probleme angeblich gerade wichtiger sind als alles andere.

Nennen Sie mich gerne altmodisch: Aber warum müssen 14-Jährige heute schon genau wissen, wie sie sexuell orientiert sind? Wieso beschäftigen sich Minderjährige heute mehr mit psychischen Krankheiten als meinerzeit Psychologiestudenten im Studium? Irgendwas läuft da gerade gewaltig aus dem Ruder!

Junge Frau, grübelnd in die Hände gestützt

Zwanghaftes Grübeln, Ängste und Perfektionismus durch Social Media

Ein anderes Phänomen, das ebenfalls unmittelbar mit dem Konsum sozialer Medien in Verbindung steht, ist der Perfektionismus. Eigentlich sollten wir soziale Medien nur noch asoziale Medien nennen. Denn sie fördern Neid, Missgunst, Selbstzweifel und Hass. Das größte Problem ist jedoch, dass vor allem jüngere Zuschauer glauben, dass das, was sie da in zahllosen Posts sehen, real wäre. Aufgehübscht mit Dutzenden von Fotofiltern, präsentieren sich die Akteure fast nur von Ihrer besten Seite. Mit echtem Leben hat das zwar nicht mehr viel zu tun, dennoch stachelt es den eigenen Perfektionismus immer weiter an. Alles muss kontrolliert werden, ständig vergleicht man sich und hat doch immer öfter das Gefühl, alle anderen haben ein tolles Leben, nur man selbst ist irgendwie außen vor. Das führt auf Dauer zu zwanghaftem Grübeln, Angst vor Ablehnung und Depressionen.

Das erinnert mich an eine Szene, die ich vor einiger Zeit in einem Straßencafé beobachten konnte. Am Nebentisch saß ein Mädchen von zehn oder maximal elf Jahren und weigerte sich vehement, von ihren Eltern fotografiert zu werden. Es kam zu einem Streitgespräch, in dem die Kleine erklärte, dass sie es nicht ertragen könne, wenn Fotos von ihr in Umlauf wären, über die sie nicht bestimmen könne. Ohne ihren „Lieblingsfilter“ und das passende Outfit könne sie es nicht ertragen, abgelichtet zu werden. Ich weiß nicht, ob ich nur Zeuge eines ungünstigen Moments war oder ob das Kind bereits wirklich so perfektionistisch veranlagt war. Was ich jedoch mit Sicherheit weiß, ist, dass der Hang zum Perfektionismus Kontrollzwängen Tür und Tor öffnet. Und die Art und Weise, wie junge Menschen sich heute in sozialen Medien informieren und präsentieren, befördert diese ungünstige Entwicklung maßgeblich.

Deshalb lautet meine Bitte an Sie: Lassen Sie uns gemeinsam ein Zeichen setzen und selbst mit gutem Vorbild vorangehen. So unterhaltsam soziale Medien auch sein mögen: etwas weniger Instagram, TikTok, YouTube und Co. tut auch uns gut und verschafft uns die nötige Zeit, um mit unseren Kindern mehr in die Natur zu gehen, zu kochen oder gemeinsam etwas mehr Sport zu treiben.