Menschen mit einer ausgeprägten Angststörung führen oft innere Dialoge, mit denen sie ihre Angst sogar noch verstärken: „Ich schaff das nicht, das ist mir alles zuviel, was ist, wenn andere mitbekommen, wie es mir geht …“
In solchen Fällen haben viele meiner Patienten gute Erfahrungen mit der Pitching-Technik gemacht. Das Wort „pitching“ kommt aus dem Englischen und bedeutet unter anderem »ein Instrument stimmen« beziehungsweise »die Tonhöhe verändern«. Wenn Sie die Tonaufnahme einer Stimme schneller oder langsamer ablaufen lassen, verändert sich der Klang der Stimme. Läuft die Aufnahme schneller als normal, klingt die Stimme höher und hektischer, läuft sie langsamer, wird die Stimme tiefer und träger.
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Denken ist ein auditiver Prozess: So nehmen Sie Angstgedanken die Kraft
Wenn Sie etwas denken, dann hören Sie in den meisten Fällen Ihre eigene Stimme gesprochen in Ihrem Kopf. Und weil es Ihre Stimme ist, vertrauen Sie prinzipiell erstmal dem, was Sie sich da gerade selbst erzählen. Das ist selbst dann so, wenn ihre inneren Dialoge sie völlig unnötig noch mehr in die Angst treiben. Hätten Sie dasselbe Vertrauen, wenn eine hohe, piepsige Mäusestimme zu Ihnen spricht oder eine ganz langsame, tiefe Monsterstimme? Wohl eher nicht!
Wir vertrauen nur dem, was wir kennen. Kommt uns etwas unbekannt vor, schalten wir zwischen Denken und Handeln eine kritische Instanz und hinterfragen den Inhalt des Gehörten. Leider tun wir das nicht auch automatisch, wenn wir unsere eigene Stimme in unserem Kopfhören. Doch gerade bei Angstpatienten wäre exakt das nötig, um möglichst schnell all die angstauslösenden Gedanken zu entlarven und zu entschärfen. Und genau hierbei hilft Ihnen die Pitching-Technik.
Die Pitching-Technik: Stoppen Sie Ängste & Selbstzweifel binnen Sekunden
Sobald Sie merken, dass Sie sich in Gedanken wieder in die Angst hineinreden, stellen Sie sich einfach eine kleine, lächerliche Cartoonfigur vor, die diese Gedanken stellvertretend für Sie spricht. Sie hören bei dieser Technik zwar nach wie vor so negative Sätze wie: »Das ist mir alles zu viel, das schaffe ich niemals«, aber Sie stellen es sich in einer total verzerrten Tonlage vor, zum Beispiel in der quakigen Entenstimme eines aufgebrachten Donald Duck oder auch in der piepsig theatralischen Stimme einer affektierten Minnie Mouse.
Diese recht einfache und oft sehr lustige Technik funktioniert deswegen so gut, weil unser Gehirn nicht
in der Lage ist, zwei gegensätzliche Gefühle gleichzeitig zu empfinden. Entweder macht uns ein innerer Dialog
Angst, weil wir ihn mit unserer eigenen Stimme hören, oder aber er ist lächerlich, weil eine alberne kleine Cartoonfigur krampfhaft versucht, uns in Panik zu versetzen.
Einige, meist ältere, Patienten beklagen anfänglich noch, dass sie ihre Angst dann ja nicht ernst nehmen würden.
Wer diese Technik jedoch erst einmal für sich entdeckt hat, versteht schnell, dass genau dieses »die Angst ernst
nehmen« einer der Hauptgründe war, warum die Angststörung sich derart ausbreiten konnte. Mit der Angst verhält es sich hier wie mit einem kleinen, trotzigen Kind, das sich in einer Einkaufspassage laut schreiend und wütend auf den Boden wirft, weil es diesmal keine Süßigkeiten bekommen hat. Nehmen Sie das Kind in dieser
Trotzreaktion nun zu ernst, lernt es, dass es damit Erfolg hat, und Sie können darauf wetten, dass Sie dieses Verhalten in Zukunft öfter geboten bekommen. Ignorieren Sie aber das Trotzverhalten des Kindes konsequent, ist die Trotzphase schon bald wieder zu Ende, und Sie haben wieder ein Kind, das artig fragt, ob es noch etwas Süßes haben darf.
Dieser kleine Trick macht die Pitching-Technik noch effektiver
Mit ein klein wenig Übung können Sie die Pitching-Technik in Ihr alltägliches Leben integrieren, und Sie werden sehen, dass Sie Ihren angstauslösenden Gedanken nicht länger hilflos ausgeliefert sind. Viele meiner Patienten verstärken die auditive Pitching-Technik übrigens durch einen kleinen Trick. Sie nehmen auch noch den visuellen Kanal zu Hilfe. Sie stellen sich dazu vor, dass die kleine, lächerliche Cartoonfigur nicht in ihrem Kopf anfängt zu sprechen, sondern dass diese vorher aus dem Kopf herausspringt und wild gestikulierend vor ihnen auf und ab läuft. Je alberner die Figur dabei ist und je komischer die Stimme klingt, desto besser funktioniert diese Technik. Ob Sie sich nun Mickey Mouse, einen Schlumpf oder die Minions dabei vorstellen, ist ganz Ihnen überlassen. Je weniger Sie die Figur ernst nehmen können, umso besser ist es.
Wichtig dabei ist nur, dass diese Figur exakt dasselbe zu Ihnen sagt, was Sie sich auch selbst erzählen würden, sobald sich Ihre Angst wieder anbahnt. Es geht ja nicht darum, dass jemand Ihnen gut zuredet, sondern vielmehr darum, dass Sie erkennen, wie Sie sich bisher durch Ihre eigenen Gedanken selbst in die Angst hineingeredet haben. Denn obwohl es genau dieselben Worte sind, haben diese keine Macht mehr über Sie, sobald Sie sie in der Stimme eines Schlumpfes oder eines Minions hören. Oder würden Sie sich von so jemandem ernsthaft sagen lassen, wie Sie sich zu fühlen haben?
Positive Dissoziation: Das Geheimnis hinter der der Pitching-Technik
In der Psychologie nennt man diese Art Gedanken zu verändern übrigens Dissoziation. Sich zu dissoziieren bedeutet, sich von etwas zu entfernen, um es mit etwas Distanz kritisch betrachten zu können. Dadurch ist es viel einfacher zu überprüfen, ob das, was man sich da gerade einredet, tatsächlich der Wahrheit entspricht oder ob nur Wahrheit daraus wird, weil wir den Quatsch glauben. Erst kürzlich kam ein Patient, dem ich die Pitching-Technik beigebracht hatte, überglücklich in die nächste Sitzung und zeigte mir eine kleine Figur aus einem Überraschungsei. Es war ein kleiner Schlumpf mit Sense, der seine permanente Angst vor dem Sterben und vor Krankheiten symbolisieren sollte. Er erzählte mir, dass er diesen kleinen Kerl seit Tagen mit sich herumtrage, damit er ihn daran erinnere, angstvolle innere Dialoge nur noch in der Schlumpfstimme zu hören. Und tatsächlich müsse er jedes Mal spontan anfangen zu grinsen, sobald er anfange, seine negativen Gedanken auf diesen kleinen blauen Sensenmann mit Fistelstimme zu projizieren. Ein und dieselben Gedanken, die noch eine Woche zuvor für einen Adrenalinstoß gesorgt hatten, brachten ihn jetzt nur noch zum Schmunzeln. Und wer über seine inneren Dialoge schmuzelt, ist neurobiologisch nicht mehr in der Lage, in diesem Moment Neurotransmitter auszuschütten, die eine Angstreaktion hervorrufen.
Disclaimer / Haftungsausschluss
Dieser Artikel soll Sie umfassend informieren und Ihnen neue Perspektiven eröffnen. Er ergänzt, aber ersetzt nicht die individuelle Diagnose oder Behandlung durch medizinisches Fachpersonal. Bei gesundheitlichen Fragen: Holen Sie sich professionelle Hilfe – und nutzen Sie unsere Tipps als kraftvolle Unterstützung.
- Bernhardt, K., (2017): Panikattacken und andere Angststörungen loswerden – Wie die Hirnforschung hilft, Angst und Panik für immer zu besiegen, 22. Auflage, Ariston, München